Chinas ruinöse Stahlschwemme

CHINA STEEL MARKET
CHINA STEEL MARKET(c) EPA (YOUTH JIN)
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Billigstahl aus China und der Ölpreis machen Europas Stahlkochern zu schaffen, warnt die Voest. Die Zahlen sind besser als der Ausblick. Europa drohe die schleichende Deindustrialisierung.

Wien. China flutet die Welt mit billigem Stahl – und bringt damit zehntausende Arbeitsplätze in Europa in Gefahr. Da die schwächelnde chinesische Wirtschaft den eigenen Stahl nicht mehr braucht, verschleudern die Erzeuger ihre Ware zu Dumpingpreisen rund um den Globus. Nach etlichen Branchengrößen warnte am Mittwoch auch die heimische Voestalpine vor den Folgen dieses ruinösen Preiskriegs. Allein heuer sollen 134 Millionen Tonnen chinesischer Stahl ins Ausland exportiert werden. Das ist doppelt so viel wie noch vor zwei Jahren. Im selben Zeitraum sank der Preis für eine Tonne Stahl in Europa um die Hälfte, auf 265 Euro. „Diesen Preis kann sich kein europäisches Stahlunternehmen leisten“, sagte Voest-Chef Wolfgang Eder. Seit 2008 ging in der stark überdimensionierten Stahlindustrie Europas jeder fünfte Arbeitsplatz verloren.

„Der Sündenfall der Politik“

Die Voestalpine selbst ist dank ihrer Konzentration auf hochwertigen Spezialstahl von diesen Entwicklungen weit weniger betroffen als andere Stahlkonzerne. Im ersten Halbjahr kletterte das Betriebsergebnis um 27,4 Prozent auf 575 Millionen Euro. Rechnet man Einmaleffekte wie den Verkauf der Heizungssparte heraus, bleibt immer noch ein Plus von 12,7 Prozent auf 450 Millionen. Der Umsatz stieg um 4,1 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro. Die Aussichten für den Rest des Jahres sind allerdings alles andere als rosig. Der bisherige Plan, auch ohne Sondereffekte mehr Betriebsgewinn zu erwirtschaften, ist Geschichte. Zu groß ist der Druck auf die Branche.

Den Kern des Übels ortet Eder im „Sündenfall der Politik“, die sich wieder vermehrt in den Sektor einmische. Nicht nur in China, auch in Europa würden unrentable Stahlkocher von ihren Heimatländern mit Förderungen künstlich am Leben erhalten. In China, schätzen Analysten, könnten neun von zehn Stahlunternehmen ohne Zuschüsse der Provinzregierungen nicht überleben. „Langfristig kann sich das kein Land leisten“, ist Eder überzeugt. „Nicht einmal China.“ Bis dahin werde die Branche in Europa aber noch stark leiden. Hilfe aus Brüssel – etwa in Form von Schutzzöllen –, wie es die europäischen Stahlunternehmen gefordert haben, gibt es bisher nicht.

Keine guten Nachrichten für einen Konzern, der zugleich von anderen Entwicklungen bedroht ist: Der niedrige Ölpreis macht der Voestalpine als Zulieferer der Erdölindustrie stark zu schaffen. Bleiben die Preise niedrig, rechnen sich viele geplante Bohrungen nicht – und der Voest gehen die Kunden für Pipeline-Röhrenbleche oder Spezialstahl für Bohrköpfe aus. Auch die Baubranche schwächelt in Europa und fällt damit als traditionell guter Abnehmer aus. Ausgleichen konnte das Unternehmen diesen Nachfragerückgang vor allem im Automobilbereich, in dem der VW-Skandal „bisher keine Auswirkungen auf die Voest“ gehabt habe.

Industrie schleicht aus der EU

Sorgen bereitet dem Konzernchef die fehlende Industriepolitik in Europa. Anders als etwa in den USA, wo die Voest 2016 ihr neues Werk in Betrieb nehmen will, setze auf dem Alten Kontinent eine „schleichende Deindustrialisierung“ ein. Lediglich Großbritannien habe den Fehler erkannt, in den 1980er-Jahren nur noch auf den Dienstleistungssektor zu setzen und baue derzeit seine alte Automobilindustrie wieder auf. Länder wie Österreich und Deutschland würden ihre traditionell hohe Industriequote hingegen zunehmend einbüßen. Unternehmen investieren nur noch das Notwendigste und fahren die Produktion gleichzeitig hoch. Ein Verhalten, das Eder als Alarmzeichen wertet: Viele Unternehmen in Europa würden „klassisch ausgecasht“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2015)

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