Wird Portugal zum zweiten Griechenland?

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Die fragile Volkswirtschaft war auf einem guten Weg aus der Schuldenkrise. Aber nach dem Coup der bizarren Linksallianz könnte sie in eine Sackgasse abbiegen. Am Freitag drohen erste Turbulenzen - durch ein Rating aus Kanada.

Wien/Lissabon. Lang hat das lautstarke Griechenland mit seiner selbst inszenierten Tragödie alle Schlagzeilen für sich beansprucht. Das leise, positive Gegenbeispiel ging daneben fast unter: Portugal. Das Land am Atlantik hat wie Hellas gut zehn Millionen Einwohner, eine eher geschlossene Wirtschaft und ein massives Schuldenproblem. Aber Lissabon zeigte solides Krisenmanagement, befolgte die Auflagen der Geldgeber, entkam ihrer Kuratel und finanziert sich seit eineinhalb Jahren als vertrauenswürdiger Kreditnehmer wieder selbst auf dem Kapitalmarkt. Zumindest bis heute, Freitag. Denn der Coup der Linksallianz, die am Dienstag die Regierung von Passos Coelho gestürzt hat, stellt die unter vielen Mühen erzielten Erfolge der vergangenen vier Jahre mit einem Schlag infrage. Der bescheidene Musterschüler könnte unversehens in die Schlagzeilen geraten – als Sorgenkind und Sargnagel Europas, als neues Griechenland.

Damit hat niemand gerechnet. Wie ist es dazu gekommen? Dass die Portugiesen eben des Sparens müde seien, greift zu kurz. Coelhos rechtsliberale Partei erzielte bei den Wahlen vor wenigen Wochen mit 38 Prozent die meisten Stimmen. Die traditionell moderaten Sozialisten folgten mit 32Prozent. Noch nie war für sie ein Pakt mit den radikalen Kleinparteien am linken Rand ein Thema. Die Kommunisten wollen aus dem Euro raus, die marxistische Linksfront jede Budgetdisziplin aufgeben, und beide wollen Staatsschulden „neu verhandeln“ – also nicht zurückzahlen. Nun aber steht diese bizarre Allianz, zumindest als Minderheitsregierung mit stillen Partnern. Wohl wünschten sich die Portugiesen einen etwas sanfteren Sparkurs. Aber das wollten sie nicht: Laut Umfragen sehen nur 27 Prozent das linke Konglomerat gern an der Macht.

Schon die Punkte, auf die es sich schnell einigen konnte, wecken böse Erinnerungen an den Umkehrschub der griechischen Syriza: Privatisierungen stoppen und rückabwickeln, mehr Geld und eine 35-Stunden-Woche für Beamte, vier Feiertage wieder einführen. Dazu höhere Mindestlöhne und höhere Pensionen. Zugleich besänftigt Sozialistenchef Costa das besorgte Brüssel, ein Defizit unter drei Prozent werde er im kommenden Jahr trotzdem liefern. Wie er den Spagat schaffen will, verrät er freilich nicht. Vermutlich vertraut er auf eine „Selbstfinanzierung“ durch steigende Kaufkraft – eine Politik, die unter sozialistischer Regierung die portugiesische Schuldenkrise mitausgelöst hat.

Die Kehrtwende trifft Portugal zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Zwar scheint vieles erreicht: Die Wirtschaft wächst schon länger wieder mit knapp zwei Prozent, die Arbeitslosigkeit ist von über 16 auf zwölf Prozent gesunken, das Defizit von über elf auf drei Prozent. Erstmals seit Jahrzehnten schafft das Land einen Handelsbilanzüberschuss, steht also auch ökonomisch auf eigenen Beinen. Aber dennoch bleibt die Volkswirtschaft sehr fragil: Zum staatlichen Schuldenberg von fast 130 Prozent des BIPs kommt eine hohe Verschuldung der Unternehmen und Privathaushalte – in Summe mehr als in Griechenland. Die Erholung steht also auf tönernen Füßen. Gerade jetzt müssten strukturelle Reformen folgen, die im Spareifer zu kurz kamen: flexiblere Lohnabschlüsse, eine effektivere Steuereintreibung, eine Reform des Pensionssystems. Dazu wird es unter der Linksallianz kaum kommen.

Segensreicher Druck der Investoren

Stattdessen sagt sie ab, was Coelho den Firmen versprochen hat: eine Senkung der Körperschaftsteuer und der Lohnnebenkosten. Das treibt die sonst sehr zurückhaltenden Unternehmer auf die Barrikaden: In einem offenen Brief an Präsident Cavaco Silva kündigen sie an, dass sie geplante Investitionen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze zurückschrauben müssten. Das letzte Wort hat nun das Staatsoberhaupt. Aber seine Alternative ist auch nicht erfreulich: Auch eine machtlose Übergangsregierung Coelho würde bis zur frühestmöglichen Neuwahl im Frühling für viel Unsicherheit sorgen.

Ein tristes Szenario? Aus einem Grund darf man die Lage in Portugal deutlich optimistischer sehen als in Griechenland: Dass sich das Land wieder selbst auf dem internationalen Kapitalmarkt finanziert, macht die Spielräume für fatale Fehlentscheidungen relativ klein. Private Investoren feilschen nicht monatelang. Sie schaffen rasch Fakten, indem sie Schuldtitel verkaufen, damit die Renditen in die Höhe treiben und die Refinanzierung unmöglich machen. In diesem Fall müssen die Sozialisten reagieren, woran ihre Allianz mit den Radikalen rasch zerbrechen könnte.

Zur ersten Feuerprobe kommt es schon am heutigen Freitag. Die Turbulenzen brauen sich im fernen Kanada zusammen, bei der Ratingagentur DBRS. Nie gehört? Sie ist klein, aber wichtig für die EZB. Bei ihrem Anleihenkaufprogramm darf Europas Notenbank nämlich nur Papiere von Staaten kaufen, die zumindest eine von vier Ratingagenturen noch mit „Investment Grade“ bewertet. Die drei großen stufen Portugal schon schlechter ein. Bleibt noch die DBRS, die am Freitag ein neue Bewertung abgibt. Verliert das Land dort seinen Status als sicherer Zahler, müsste die EZB handeln – oder per Erlass gegen ihre eigenen Regeln verstoßen. Auch das gemahnt an Griechenland.

AUF EINEN BLICK

Portugal geht unsicheren Zeiten entgegen. Wahrscheinlich kommt eine Linksallianz an die Macht, die mit der bisherigen Sparpolitik brechen und Reformen rückgängig machen will. Dennoch verspricht der vermutliche künftige Regierungschef, Costa, im kommenden Jahr ein Defizit unter drei Prozent des BIPs zu erreichen. Noch vertrauen die meisten Anleiheinvestoren auf diese Zusage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2015)

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