Nobelpreisträger: „Im Süden fehlt das Staatsvertrauen“

BRITAIN NOBEL PRIZE FOR  ECONOMIC SCIENCES PISSARIDES
BRITAIN NOBEL PRIZE FOR ECONOMIC SCIENCES PISSARIDES(c) EPA (ANDY RAIN)
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Der Ökonom und Nobelpreisträger Christopher Pissarides glaubt, dass Europa noch immer von Skandinavien lernen muss. Nur so könne der Wohlfahrtsstaat finanzierbar bleiben.

Die Presse: Gibt es ein genuin europäisches Wirtschaftssystem?

Christopher Pissarides: Europa sieht es als seine Aufgabe, sich um Menschen zu kümmern, die in Not geraten sind. Der Staat ist auch für Soziales zuständig. In Amerika sieht man das anders. Dort sagt man den Menschen: Kauft eine Versicherung! In China setzt man sehr stark auf die Familie.

Ist der europäische Wohlfahrtsstaat angesichts der hohen Staatsschulden finanzierbar?

Es gibt in Europa einen Willen, den Wohlfahrtsstaat zu erhalten. Aber es wird unmöglich sein, ihn auf dem heutigen Level zu belassen. In Zukunft wird es wohl noch eine staatliche Gesundheitsversorgung geben – aber weniger umfangreich.

Wie wird also das europäische Modell der Zukunft aussehen?

Der Staat muss sich aus der Wirtschaft zurückziehen und mehr der Privatwirtschaft überlassen. Das Budget muss ausgeglichen sein, es muss mehr Transparenz herrschen. Staatsausgaben sollten auch durch Steuern finanziert werden, weniger durch Schulden. Sinkende Steuern sind also nicht zu erwarten.

Dafür dürfen wir auf sinkende Schuldenstände hoffen?

Ja, aber die Schulden werden nur sehr, sehr langsam sinken. Da gibt es noch viel Widerstand aus den südlichen Ländern. Aber mich beunruhigen die Schuldenlevels eigentlich nicht. Es geht eher um die Frage, wie die Schulden strukturiert sind. Japan hat hohe Staatsschulden, die aber zum Großteil von Japanern gehalten werden. Diese Japaner zahlen Steuern für die Bedienung der Zinsen – das ist zwar eine Umverteilung von den Steuerzahlern zu den Gläubigern, erlaubt aber hohe Schuldenstände.

Griechenland ist aber im Ausland verschuldet.

Trotzdem ist die Belastung durch Zinszahlungen bis 2022 ziemlich niedrig. Jetzt über eine Restrukturierung der Schulden zu diskutieren, ist bloß Zeitverschwendung. Aber ja, in Zukunft wäre es wünschenswert, wenn europäische Staatsschulden auch von den Europäern gehalten werden – statt uns den Kopf über zwischenstaatliche Transfers zu zerbrechen.

Europa braucht strukturelle Reformen. Was heißt das konkret?

Das Wirtschaftsumfeld muss verbessert werden, Forschung und Entwicklung sollte man animieren – etwa durch Steuererleichterungen. Ein strukturelles Problem sind auch die Monopole, die sich in vielen Ländern gebildet haben. Das ist ein Riesenproblem in Griechenland. Wegen der Monopolbetriebe sinken zwar die Löhne – nicht aber die Preise. Und auch die linke Regierung will nichts unternehmen und greift die Monopole nicht an. In Italien gibt es ähnliche Probleme. Auch darum steht Europa in den Rankings so schlecht da.

Inwiefern braucht es auch Reformen der staatlichen Strukturen?

Sehen wir uns nochmals Italien an: Dort gibt es zwar nur einen kleinen Sozialstaat, aber sehr hohe Steuern. Warum? Weil die italienischen Beamten und Politiker zu den bestbezahlten überhaupt gehören. Sie bekommen auch tolle Pensionen. In Griechenland ist das freilich sehr ähnlich. Heißt: Andere Teile des Staates können zu teuer werden und Geld aus dem Wohlfahrtsstaat abziehen. Umgekehrt heißt das aber auch, dass der Wohlfahrtsstaat durchaus finanzierbar ist.

Wo sehen Sie dafür Beispiele?

Die skandinavischen Länder haben einen gut ausgebauten Sozialstaat und trotzdem viel Freiheit für die Wirtschaft. Der entscheidende Unterschied zum Süden ist aber: Die Skandinavier vertrauen ihren Regierungen und ihrem Staat. Das ist die Grundvoraussetzung. Im Süden fehlt dieses Vertrauen leider.

ZUR PERSON



C. Pissarides (67) ist Professor an der London School of Economics. Im Jahr 2010 hat er den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Am Freitag wird der zyprisch-britische Ökonom bei der re.comm- Konferenz in Kitzbühel sprechen. [ EPA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2015)

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