Deutschlands Wohlstand in Gefahr?

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Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kritisiert die fehlende Investition von 100 Mrd. Euro.

Berlin. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wartet mit einer für das Land unerfreulichen Prognose auf: Durch zu geringe Investitionen stünden langfristig Wohlstand wie Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland auf dem Spiel. Die Investitionslücke, so DIW-Präsident Marcel Fratzscher am Donnerstag, betrage aktuell 100 Milliarden Euro.

Die günstige derzeitige Wachstumsentwicklung überdecke die fünf gravierenden Langzeitschwächen der deutschen Wirtschaft: Zu wenig Wachstum und Produktivitätszuwachs, eine zu hohe Verschuldung des Staates, wachsende Ungleichheit, ein Vorsorgeproblem sowie ein „Leben von der Substanz“. Betrachte man die vergangenen zehn bis 15 Jahre, sehe das Bild „alles andere als rosig aus“.

Auch die Bewältigung des Flüchtlingsstroms und die erfolgreiche Integration der Zugewanderten lasse sich nur mit mehr Investitionen schultern, die aber nicht zulasten von Ausgaben in anderen wichtigen Feldern gehen dürften, so Fratzscher.

Europa stellte der DIW-Chef kein gutes Zeugnis aus: Es sei bei einer globalen Betrachtung beim Wachstum eher „eine Sorgenregion der Welt“ und stecke im Grund noch in einer „sehr tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise“. Deutschland kam in einer Momentaufnahme besser davon. Das Land profitiere zurzeit von einem Beschäftigungswunder, von der Konsolidierung öffentlicher Haushalte und einer hohen Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft. So rechne Fratzscher in diesem Jahr für Deutschland mit einem Exportüberschuss von 250 Mrd. Euro, das wären acht Prozent der Wirtschaftsleistung.

Arbeitskosten gestiegen

Eine ebenfalls am Donnerstag veröffentlichte Untersuchung des deutschen gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), die die Arbeitskosten im Land im Fokus hat, zeichnet ein positiveres Bild als der DIW-Ökonom, betrachtet aber wiederum nur die derzeitige und nicht die zukünftige wirtschaftliche Verfassung des Landes. Arbeit in Deutschland hat sich laut lIMK-Studie im ersten Halbjahr 2015 durch den mit Jahresbeginn bundesweit eingeführten Mindestlohn von 8,50 die Stunde stärker verteuert als in den meisten anderen europäischen Ländern. Während der Zuwachs in der EU 2,2 Prozent und im Euroraum 1,7 Prozent betrug, maß man in Deutschland ein Plus von drei Prozent.

Das Institut sieht die Entwicklung positiv. „Steigende Löhne sind ein wichtiger Grund für die solide Binnennachfrage, steigende Arbeitskosten spiegeln das wider“, sagte IMK-Direktor Gustav Horn. Der Konsum trage den moderaten Aufwärtstrend der deutschen Wirtschaft wesentlich mit. Dadurch sei der Aufschwung aktuell nachhaltiger als vor fünf oder zehn Jahren. Würden Arbeitskosten in Relation zur Produktivität gesetzt, so lägen die berechneten Lohnstückkosten gut zwölf Prozent unter denen der anderen Euroländer. „Deutschland besitzt immer noch eine sehr hohe Wettbewerbsfähigkeit“, resümiert Horn. (APA/Reuters)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2015)

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