Fusion des Jahres: Pfizers Megadeal als Anti-Steuer-Pille

Nicht nur älteren Herren ein Begriff: Viagra-Hersteller Pfizer wird durch die Fusion mit Allergan zum größten Pharmakonzern.
Nicht nur älteren Herren ein Begriff: Viagra-Hersteller Pfizer wird durch die Fusion mit Allergan zum größten Pharmakonzern.(c) REUTERS (ANDREW KELLY)
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Viagra schluckt Botox: Der US-Konzern Pfizer kauft Allergan um 150 Mrd. Dollar, wird zur Pharmafirma Nummer eins und wandert nach Irland ab. Der Grund: Steuerflucht.

Wien. Amerikanischer könnte ein Unternehmen kaum sein – auch wenn ein ausgewanderter Deutscher es einst gründete. Die New Yorker Arzneimittelfabrik des Karl Pfizer aus Ludwigsburg lieferte schon im Bürgerkrieg Schmerzmittel und versorgte die im Kampf gegen Hitler verwundeten US-Soldaten mit Penicillin. Ein strahlender Stern am Himmel der US-Wirtschaft, seit 166 Jahren. Ab nächstem Jahr aber ist Pfizer eine irische Firma – weil der Pharmakonzern zu Hause keine Steuern zahlen will.

Um 150 Mrd. Dollar kauft Pfizer seinen irischen Konkurrenten Allergan. Viagra schluckt Botox, könnte man im Hinblick auf deren bekannteste Präparate sagen. Es ist die bisher größte Fusion in einem an Übernahmen reichen Jahr. Pfizer wird damit zur Nummer eins der Branche, überholt Johnson & Johnson insgesamt und Novartis bei rezeptpflichtigen Medikamenten. Sicher, da wird Forschung gebündelt und bei der Verwaltung gespart. Aber der wahre, auch eingestandene Grund für die Transaktion ist Steuerflucht. Der Deal ist auch die bisher größte Inversion eines US-Unternehmens – ein Reizwort für amerikanische Politiker und brave Steuerzahler.

Konzerne in der Steuerfalle

Ob Apple, Google oder Starbucks: US-Konzerne machen sich einen Sport daraus, heimische Gewinne in Steueroasen zu schleusen. Dort stapeln sich mittlerweile über zwei Billionen Dollar an Barreserven. Das US-Steuersystem lässt das zu, hat aber eine strenge Kehrseite: Sobald die Gewinne in die Heimat zurückfließen, schlägt der Fiskus zu und verrechnet die gesamte ersparte Differenz zwischen dem fremden und dem eigenen Steuersatz. Eine Zeit lang lassen sich die geparkten Gewinne im Ausland reinvestieren. Aber irgendwann wollen die Aktionäre Dividenden sehen. Auch für Aktienrückkäufe und Investitionen auf dem Inlandsmarkt wird das Geld vor Ort gebraucht.

Lang hofften die Konzerne auf einen neuen Tax Holiday, wie ihn George W. Bush nach heftiger Lobbyarbeit 2004 gewährte: nur 5,25 Prozent Steuer für alle Gewinne, die sie innerhalb eines Jahres nach Hause brachten. Kein Vergleich mit den 35 Prozent, die jeder kleine Gewerbetreibende zahlen muss. Aber die Chancen auf eine Neuauflage des Geschenks schwinden. Denn mit den Cash-Reserven im Ausland wachsen die politischen Widerstände. Nicht nur Obama und seine Demokraten, auch die Republikaner halten das Verhalten der Konzerne für „unpatriotisch“.

Deshalb haben sich deren Steuerstrategen einen neuen Ausweg ausgedacht: die Tax Inversion. Dabei kauft ein großes US-Unternehmen einen kleineren Konkurrenten im Ausland. Aber formal übernimmt der Kleine den Großen – der damit seinen Firmensitz steuerschonend ins Ausland verlegt. Burger King etwa hat sich so in eine kanadische Firma verwandelt, dank einer Kaffeehauskette von jenseits der Grenze.

Der gleiche Trick kommt auch bei „Pfizergan“ zur Anwendung: Pfizer hat mit 199 Mrd. Dollar einen deutlich höheren Börsenwert als Allergan mit 123 Mrd. Dennoch treten die Iren bei dem Aktientausch technisch als Käufer auf. Aber natürlich bleibt die Konzernzentrale in New York und Pfizer-Chef Ian Read im Sattel. Er hatte schon im Vorjahr einen fiskalischen Fluchtversuch unternommen, der aber scheiterte: Die Briten von AstraZeneca wollten sich partout nicht schlucken lassen. Bei Allergan gab es solchen Widerstände nicht. Patriotismus wäre fehl am Platze. Denn hinter der „irischen“ Firma steht ohnehin eine amerikanische: Auch Allergan ist in dieser Form erst vor Kurzem durch eine Inversion entstanden.

Wettlauf gegen die Politik

Das US-Finanzministerium versucht nun fieberhaft, solche Praktiken einzudämmen. Verbieten lassen sie sich kaum, aber es gibt Mittel, sie unattraktiver zu machen. Nach einigen Richtlinien für die Steuerprüfer soll endlich der Kongress durch ein Gesetz den Inversionen einen Riegel vorschieben. Dieser politischen Initiative ist Pfizer nun zuvorgekommen.

Aus der Sicht von Vorstandschef Read sieht die Welt freilich anders aus: Die USA haben den höchsten Körperschaftsteuersatz aller Industriestaaten. Damit habe er einen „furchtbaren Nachteil“, weil die ausländischen Konkurrenten deutlich weniger zahlen. Im konkreten Vergleich: Allergan entrichtete für seinen Vorjahresgewinn weltweit 15 Prozent Steuer (ein Jahr davor waren es sogar nur 4,8 Prozent). Pfizer wies hingegen global 26,5 Prozent aus. Der Unterschied ist das US-Geschäft. Aber tatsächlich rechnet Pfizer dabei schon vorsorglich (und untypischerweise) US-Steuern auf einen guten Teil seiner im Ausland geparkten Gewinne ein, die man auf 120 bis 150 Mrd. Dollar schätzt. Ob diese Steuer jemals wirklich an den Fiskus fließt, bleibt offen. Faktisch gezahlt hat Pfizer im Vorjahr nur 7,5 Prozent – und dürfte sich damit zumindest aktuell nicht beklagen.

Wie es nun in Washington weitergeht? Die Demokraten wollen umso konsequenter alle Schlupflöcher schließen. Die Republikaner glauben, das Problem an der Wurzel packen zu können, indem der Staat den Steuersatz senkt. Politisch herrscht also ein Patt – und Pfizer hat es sich durch die Flucht auf die grüne Insel gerade noch rechtzeitig zunutze gemacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2015)

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