Wenn schon Geld verlieren, dann wenigstens langsam und geordnet. Das denken sich immer mehr Anleger – und stecken fast zwei Billionen Euro in Staatsanleihen mit negativen Zinsen.
Wien. Rund 1,9 Billionen Euro – also 1900 Milliarden – sind aktuell in europäische Staatsanleihen angelegt, die eine negative Rendite einfahren. Das heißt: Sie bringen den Anlegern keine Zinsen – sondern kosten sie am Ende ihrer Laufzeit sogar Geld. Nach Gründen für dieses scheinbar bizarre Verhalten der Anleger muss man aber nicht lang suchen. Schuld sind zwei Dinge: Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank sowie anderer wichtiger Notenbanken rund um den Globus – und die erneut wachsende Unsicherheit in den Märkten. Denn dass private sowie institutionelle Anleger (Pensionsfonds etc.) ihr Geld absichtlich in Produkte anlegen, bei denen sie garantiert Geld verlieren, ist eine Folge des Strebens nach Sicherheit – wohl in der Hoffnung, mit anderen, riskanten Investments die Verluste auszugleichen.
Banken zahlen bereits seit Anfang dieses Jahres einen negativen Zinssatz auf Geld, das sie bei der EZB bunkern. Erst im Oktober wurde dieser „Einlagenzinssatz“ von -0,1 auf -0,2 Prozent gesenkt. Die Hoffnung der Zentralbanken, dass die Banken dieses Geld als Basis für neue Kredite nutzen, statt es bloß herumliegen zu lassen, ist bisher nicht aufgegangen.
Sogar Italien ist im Klub
Die Flucht der Anleger ist freilich nicht der einzige Grund für die negativen Zinsen. Die EZB pumpt seit März rund 60 Mrd. Euro pro Monat in europäische Staatsanleihen, was die Zinsen weiter drückt. Die Zentralbank kauft diese Anleihen von Banken – ebenfalls in der Hoffnung, dass diese mehr Kredite vergeben. Just im selben Monat, in dem die EZB ihr Anleihenprogramm gestartet hat, konnte auch die Republik Österreich erstmals eine Anleihe mit negativer Rendite platzieren. Der durchschnittliche Zinssatz auf die im März angebotenen Anleihen im Wert von 1,1 Mrd. Euro war -0,038 Prozent. Wer diese Bonds mit fünfjähriger Laufzeit bis Oktober 2024 hält, wird also weniger Geld bekommen, als sie ursprünglich wert waren. Und das nicht nur inflationsbereinigt – sondern sogar nominell.Vor Österreich konnten Finnland und Deutschland Anleihen mit negativen Renditen platzieren. Besonders auffällig: Seit Anfang November gehört sogar Italien, das für solide Staatsfinanzen nicht gerade berühmt ist, zum Klub. Rom konnte zwar nur eine Anleihe mit zweijähriger Laufzeit bei negativem Zinssatz anbringen – aber immerhin: Im November 2011 standen die Zinsen Italiens noch bei sieben Prozent, was als kritische Marke gilt, ab der die Finanzierung der Staatsschulden schwierig wird und ein Staatsbankrott droht.
EZB will weiter lockern
Dass die Zinsen rasch wieder drehen könnten, ist derweil nicht zu erwarten. Die EZB versucht, durch ihr Anleihenprogramm auch die Inflation anzuschieben, die in der Eurozone weiterhin rund um den Nullpunkt kreist. Erst eine spürbare wirtschaftliche Erholung samt anziehender Inflation würde die Anleger wieder in höher verzinste – und riskantere – Produkte treiben.
Aber vorerst wird die EZB den Trend zu negativen Zinsen eher antreiben. Da ihr Programm nicht den gewünschten Erfolg zeigt, wird es sehr bald wohl ausgeweitet – möglicherweise sogar schon im Dezember. Davon gehen auch Großbanken wie Citigroup und Goldman Sachs aus. EZB-Chef Mario Draghi wiederholte erst kürzlich seine Worte von 2012 – er werde „alles tun“, um den Euro zu bewahren. Auch das wurde als Signal für weitere Lockerungen verstanden. (jil)
AUF EINEN BLICK
Staatsanleihen gelten als sichere Anlage, weil sie eine Rendite bringen. In normalen Zeiten. Derzeit wird so viel Geld (von Anlegern und Zentralbanken) in Staatsanleihen geschüttet, dass Länder wie Deutschland und Österreich mit ihrer Verschuldung Geld verdienen: Es herrschen negative Zinsen. Ein Grund ist die Verunsicherung an den Märkten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2015)