EU/Russland: Sanktionen treffen Russland härter

Ein Markt in Russland: Einheimische Lebensmittel haben oft eine schlechtere Qualität als die boykottierten aus Europa.
Ein Markt in Russland: Einheimische Lebensmittel haben oft eine schlechtere Qualität als die boykottierten aus Europa.(c) Reuters
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Auch wenn man im Kampf gegen den Terror zusammenrückt: Die Sanktionen gegen Russland dürften bleiben. Aber wozu führen sie wirtschaftlich?

Wien. Am Donnerstag könnte es Frankreichs Präsidenten, François Hollande, in Moskau gelingen, Kreml-Chef Wladimir Putin für ein Bündnis gegen den Terror des Islamischen Staates zu gewinnen. Aber das heißt noch nicht, dass die EU eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland beschließt, die vorerst bis Ende Jänner befristet sind. Denn hier geben Deutschland und Großbritannien, unterstützt von den USA, mit ihrer strikten Position den Ton an, erklärt Gerhard Mangott, Russland-Experte der Uni Innsbruck, der „Presse“. Da die meisten der 13 Forderungen im Minsk-II-Abkommen nicht erfüllt sind, werden die Sanktionen wohl auch verlängert werden. „Ihre Verfechter wollen keinen Konnex zwischen Syrien und der Ukraine herstellen“, so Mangott.

Wie aber haben sich die Sanktionen beider Seiten bisher wirtschaftlich ausgewirkt? In Europa hielten sie anfangs viele für gefährlich. Ein Dokument, das die EU-Kommission unter Verschluss halten wollte, rechnete mit einem negativen Effekt auf das EU-Wachstum von 0,3 Prozent im Jahr 2014 und 0,4 Prozent heuer. Lauter schlug das Wifo im Juni Alarm. Das österreichische Institut rechnete mittelfristig mit einem doppelt so hohen Schaden: 92Mrd. Euro an jährlicher Wertschöpfung und 2,2 Mio. Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Was die bange Frage aufwirft: Hat sich Europa zu tief ins eigene Fleisch geschnitten? Putin betete die düsteren Szenarien jedenfalls dankbar nach.

Gelassenes Europa

Mittlerweile aber ist in Brüssel Gelassenheit eingekehrt. Die Kommission hält die Folgen „für mäßig“, Russland sei deutlich härter getroffen. Auch der Thinktank des EU-Parlaments gibt Entwarnung: Europas Wirtschaft erweise sich als ausreichend widerstandsfähig. Warum dieser Wandel, sind doch die Ausfuhren zum drittwichtigsten Handelspartner bis zum September um 30 Prozent eingebrochen? Schon die Wifo-Studie betont: Die Folgen von Sanktionen lassen sich nicht isolieren. Dennoch würden sie „eine bedeutende Rolle spielen“. Genau diese „bedeutende Rolle“ spricht man den russischen Gegenmaßnahmen aber nun ab.

Geschwächtes Russland

Denn Russland geht es rundum schlecht: Schon vor den Sanktionen ist es in eine Rezession gefallen, aus der es sich jetzt nur mühsam befreit. Die Halbierung des Ölpreises ließ die Einnahmen einbrechen. Der Verfall des Rubels verteuerte Importe, worunter die Kaufkraft der Bürger leidet. Mit hohen Zinsen muss die Zentralbank die Inflation und die Kapitalflucht bekämpfen, worunter Investitionen und Konsum weiterhin leiden. Der Tenor lautet nun: All diese Faktoren sind viel wichtiger als die Sanktionen.

Anders gesagt: Die Russen würden auch dann weit weniger westliche Waren kaufen und auf den Urlaub in Österreich verzichten, wenn man sich offiziell gut verstünde. Umgekehrt läuft für Europa vieles in eine positive Richtung: Gesunkene Energiepreise wirken belebend, ein schwächerer Euro stärkt den Handel mit Übersee. Südeuropa kommt wieder ein wenig auf die Beine, was auch deutsche Exporteure freut. Ausgerechnet Osteuropa, das die stärksten Bindungen zu Russland hat, kehrt sogar auf einen kräftigen Wachstumspfad zurück. Sicher: Bei ungestörtem Austausch könnte es besser laufen. Aber es gibt jedenfalls keinen ökonomischen Druck, von den Sanktionen abzulassen.

Gerissene Bande

Konkret betroffen sind von Putins Einfuhrverboten landwirtschaftliche Produkte: Fleisch, Fisch, Früchte, Gemüse. Die Bedeutung dieser Ausfuhren nach Russland ist mit 0,03 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung verschwindend gering. Die betroffenen Bauern wussten sich zu helfen: Ihre Exporte in andere Drittländer, vor allem nach China und in die USA, stiegen um fast sechs Prozent und machten die Ausfälle mehr als wett. Aber freilich gibt es auch Einbußen in anderen Bereichen. Deshalb lohnt ein Blick in die Türkei. Sie hat sich im Disput die Hände gerieben. Die Türken hofften, einiges auf sich umleiten zu können. Stattdessen gingen auch türkische Ausfuhren nach Russland massiv zurück: 2014 um 15 Prozent, in den ersten neun Monaten heuer gar um 48 Prozent.

Was zeigt: Ohne Sanktionen wäre es auch nicht viel besser. Freilich gilt das auch für die Wirkung auf Russland. Darauf konzentriert sich eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Kurzfristig, heißt es dort, erzeugen die Sanktionen wenig zusätzlichen Druck auf Putin. Aber nur kurzfristig. Was die Russen hart trifft, ist der Bann auf Maschinen und Anlagen, die sie nur aus Europa und den USA beziehen können. Dabei geht es nicht nur um Investitionen, die militärisch nutzbar wären.

Der Westen liefert auch keine Technologie mehr, die Moskau brauchte, um in der Tiefsee nach Öl und im Schiefergestein nach Gas zu bohren. Alte Ölquellen in Westsibirien gehen zur Neige, neue müssten dringend erschlossen werden. Der Ausbau ist nun gestoppt, auch dadurch, dass Konzerne wie Exxon, Shell und Total ihre Gemeinschaftsprojekte abgeblasen haben. Aber es geht um noch mehr. „Die russische Wirtschaft wird so lang nicht dauerhaft wachsen, solang sie nicht moderner wird und sich diversifiziert“, sagt Grzegor Sielewicz, Ökonom beim Kreditversicherer Coface. Auch um die Abhängigkeit von Energieausfuhren zu mildern, braucht es westliches Know-how. Hier dürfte die Verbindung „irreparabel abgerissen“ sein, konstatiert das WIIW (Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche). Womit als Fazit bleibt: Europa kann mit den Sanktionen wirtschaftlich leben, Russland auf Dauer nicht.

Weitere Infos:www.diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

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