Treichl: Die „Enteignung“ wird beschleunigt

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PK ERSTE GROUP ´ERGEBNIS 1. HALBJAHR´: TREICHL(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Die Europäische Zentralbank wird am Donnerstag wohl eine weitere Lockerung der Geldpolitik beschließen. Die Frage ist nur: Wozu? Erste-Chef Andreas Treichl übt herbe Kritik.

Wien/Frankfurt.Es ist ungewöhnlich, dass eine bedeutende Geschäftsbank und die zuständige Zentralbank aneinander geraten. Aber zwischen der Ersten in Österreich und der Europäischen Zentralbank in Frankfurt ist so etwas wie ein ideologischer Streit entbrannt. Ein Streit, der allerdings nur von einer Seite offen ausgefochten wird: von Andreas Treichl, dem Chef der Ersten. Jener hat im Interview mit dem deutschen „Handelsblatt“ die Niedrigzinspolitik der EZB erneut scharf kritisiert: „Die Niedrigzinsphase ist eine Enteignung für Sparer in ganz Europa“, so Treichl.

Es sei „extrem problematisch“, wenn noch nicht einmal gut verdienende Menschen sich ein kleines Vermögen aufbauen könnten, so der Erste-Vorstandschef. Die Politik der EZB würde zwar Staaten mit mäßiger Bonität dabei helfen, sich über Wasser zu halten. „Meinem Geschäft und meinen Kunden schadet aber die EZB.“ Man müsse derzeit reich sein, um noch reicher zu werden, so Treichl.

Dass sich daran so bald etwas ändert, ist allerdings unwahrscheinlich. Im Gegenteil. Das Jahr 2015 geht so zu Ende, wie es angefangen hat: mit extremen Erwartungen an Mario Draghi, die Euro-Geldpolitik noch weiter zu lockern. Eine Erwartung, die der EZB-Präsident und sein Direktorium wohl erfüllen werden – und zwar möglicherweise bereits bei der am Donnerstag anstehenden Zinssitzung. Einzig: Genau wie im Jänner ist die Dringlichkeit der Angelegenheit umstritten.

Was wird die EZB tun?

Immerhin läuft seitens der EZB bereits ein ambitioniertes Reflations-Programm, das Kreditvergabe und Inflation in der Eurozone anschieben soll. Seit März kauft die EZB jeden Monat Wertpapiere mit frisch gedruckten Euro – darunter auch Staatsanleihen. Der Umfang der Käufe liegt bei 60 Mrd. Euro pro Monat. So will die EZB bis September 2016 mehr als eine Billion Euro in den Markt gepumpt haben. Oder noch viel mehr. Beobachtern zufolge könnte das Programm auf 80 Mrd. Euro pro Monat ausgedehnt werden. Dass es in jeden Fall wohl über 2016 hinaus verlängert wird, hat Draghi bereits anklingen lassen.

Die Dringlichkeit, mit der die EZB jetzt an die weitere Lockerung geht, ist aber überraschend. Immerhin hat sich die Wirtschaft in der Eurozone zuletzt zwar langsam, aber doch in die richtige Richtung bewegt – und das in einem Umfeld, dass von einer Konjunkturabschwächung in China und weiteren Unsicherheiten geprägt war. Des weiteren ist vollkommen unklar, ob die geldpolitischen Maßnahmen mit dieser leichten Verbesserung der Lage in der Eurozone überhaupt in Verbindung gebracht werden können. Schon vor der Entscheidung war diese Frage sogar unter den Notenbankern umstritten. So sah Jens Weidmann, der Chef der Deutschen Bundesbank, weder die Gefahr einer Deflation in Europa noch die Notwendigkeit von Wertpapier- und Staatsanleihen-Käufen.

Gerade wenn Zweitere jetzt ausgeweitet – und verlängert – werden sollten, stellt dies auch eine Gefahr da. Denn die hohen Zinsen auf Staatsanleihen in den Jahren 2010 bis 2012 haben großen Druck auf Politiker in Südeuropa ausgeübt, überzeugende Reformen anzugehen. Dieser Druck ist jetzt weg – und das Reformtempo wurde sogleich gedrosselt. Zuletzt hat eine sozialistische Regierung das Ruder in Portugal übernommen.

Bleibt eine Schlussfolgerung für die offenbar anstehende weitere Lockerung der Euro-Geldpolitik: Draghi will den Schock einer bevorstehenden Zinserhöhung in den USA abschwächen. Vielleicht verzichtet die EZB aber auch überraschend auf eine Ausweitung der Käufe – und gibt sich mit einer weiteren Senkung des Zinssatzes für Bankeinlagen bei der EZB in den negativen Bereich zufrieden. (jil)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)

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