Auf Verfall spekulierende Hedgefonds dürften bei den starken Kursanstiegen der VW-Aktie in den beiden vergangenen Wochen eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben.
Wien. Halter von VW-Aktien haben in den vergangenen zehn Tagen eine interessante Erfahrung gemacht: Ihre zuvor stark abgestürzten Anteilscheine sind gestiegen und gestiegen – um bis zu 35 Prozent. Und sie steigen nach einem kleinen Rückfall am Dienstag weiter. Warum, kann sich oberflächlich keiner so recht erklären. Denn wirklich positive Neuigkeiten gibt es ja nicht. Im Gegenteil: Niemand kann absehen, wie viel der Abgasskandal den Autokonzern noch kosten wird, die Bonität des Unternehmens ist von mehreren Ratingagenturen deutlich herabgestuft worden, die Absatzzahlen beginnen zu schwächeln. Nicht unbedingt das, was Börsianer normalerweise goutieren.
Viele Analysten erklären sich den Kursanstieg damit, dass die Kosten für die Umrüstung der manipulierten VW-Motoren und die übrigen Folgekosten des Skandals doch geringer als erwartet ausfallen könnten. Die Aktie wäre in diesem Fall also zu tief gefallen und würde sich nun normalisieren. Damit wären die Aussichten für Aktionäre gar nicht so schlecht, ein neuerlicher drastischer Absturz also eher ausgeschlossen.
Es gibt allerdings nicht wenige Fachleute, die dieser Theorie wenig abgewinnen können und eher auf einen sogenannten Short Squeeze tippen. Darunter versteht man einen starken Kursanstieg, wenn sich Short-Seller mit ihrer Spekulation vertan haben und sich mit Aktien eindecken müssen, um ihre Deals zu beenden. Das erzeugt große Nachfrage und treibt die Kurse. Allerdings nur vorübergehend.
Short-Selling ist eine Spekulation auf Kursverfall, die vereinfacht ausgedrückt, so funktioniert: Short-Seller leihen sich (gegen kleine Gebühr) Aktien aus, verkaufen diese sofort, warten auf den Kursverfall und kaufen die Aktien knapp vor dem vereinbarten Rückgabetermin auf dem Markt zu idealerweise deutlich tieferen Kursen wieder zurück. Die Differenz zwischen dem höheren Verkaufspreis und dem tieferen Rückkaufpreis ist dann der Gewinn, der im Fall einer Spekulation auf Kreditbasis beträchtlich ausfallen kann. Praktiziert wird diese Methode überwiegend von institutionellen Investoren, speziell von Hedgefonds.
Tatsächlich hat der krasse VW-Kursverfall im Oktober ganz offenbar zahlreiche Short-Seller auf den Plan gerufen. In der Spitze waren nach den vorliegenden Daten bis zu acht Prozent der VW-Aktien verliehen. Mehr als doppelt so viele wie zuvor. Kaufausschläge sind bei einem Short Squeeze deshalb so heftig, weil Short-Seller bei einer Kursdrehung sehr schnell reagieren müssen.
Bei gehebelten, also kreditfinanzierten Engagements, schlägt das hohe Gewinnpotenzial sehr schnell in ebenso hohe Verluste um, wenn man zu lang mit der „Eindeckung“ zuwartet.
Die hohen Handelsvolumina und die damit verbundenen starken Kursausschläge in den vergangenen Tagen sind ein starkes Indiz dafür, dass sich Short-Seller hier großvolumig eingedeckt haben.
Banken geben Milliardenkredit
VW hat unterdessen große Probleme, sich auf den Anleihemärkten Kapital zu vernünftigen Konditionen zu besorgen. Die Bonitätsabstufungen verursachen bei neu aufgelegten Unternehmensanleihen zur Refinanzierung wesentlich höhere Zinsen.
Allerdings springen jetzt internationale Großbanken in die Bresche: Ein Konsortium von mehreren Banken hat VW Überbrückungskredite von mindestens 20 Milliarden Euro für ein Jahr angeboten. Sobald die Anleihezinsen für VW wieder sinken, sollen diese Kredite durch neu emittierte Anleihen abgelöst werden.
Angeblich hat das Angebot der Banken auf bis zu 29 Milliarden Euro gelautet. (ag./ju)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2015)