Über den peloponnesischen Müllkrieg

GREECE ATHENS LANDFILL
GREECE ATHENS LANDFILLEPA
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Kompostkübel statt riesiger Müllanlagen: Die griechische Linksregierung setzt auf Abfallvermeidung – und annulliert millionenschwere Großprojekte. Mülltrennung ist in der Bevölkerung noch nicht sonderlich populär.

Small is beautiful– das kleine, das menschliche Maß bei der Müllentsorgung wird zurzeit in Griechenland entdeckt.

Propagiert wird es vom grünen Umweltstaatssekretär der linken Syriza-Regierung – und steht für einen der wenigen Bereiche, in denen die Minister von Premier Alexis Tsipras bisher Innovatives hervorbrachten. Ohne Vorgabenkorsett durch die internationalen Gläubiger in Müllfragen, dafür mit saftigen EU-Strafen für illegale Mülldeponien der Vorgängerregierungen belastet, stellte Umweltstaatssekretär Giannis Tsironis Anfang Juni 2015 einen neuen nationalen Abfallbewirtschaftungsplan vor. Der propagiert die radikale Dezentralisierung der Bearbeitung von festem Müll und wirft damit alles, was in Griechenland in den vergangenen Jahren im Sektor mühsam und verspätet erarbeitet wurde, über den Haufen. Die meisten griechischen Regionen und die großen Baufirmen sind dagegen – dementsprechend zäh gestaltet sich die Umsetzung.


Kein Platz für Großanlagen.
Der Einsatz ist nicht zu unterschätzen: Bei der Müllbearbeitung geht es um die Verteilung von insgesamt 900 Millionen Euro an EU-Fördergeldern in den kommenden fünf Jahren; dazu kommen private Investitionen. In Attika etwa sind für vier Müllbearbeitungsanlagen 450 Milliarden Euro budgetiert worden, auf dem Peloponnes geht es um insgesamt 150 Millionen Euro. Petros Tatoulis, der Regionalchef des Peloponnes, ist denn auch der größte Gegner des neuen Konzepts, in dem die von ihm geplante Großanlage keinen Platz hat.

Auf dem Umweg über das neue Abfallkonzept, so Tatoulis, würden ein Parteienstaat und Sowjets errichtet. Dieser peloponnesische Müllkrieg des ehemaligen Kulturministers der griechischen Konservativen mit der Athener Zentrale ist bis heute nicht beendet – und er hat gute Chancen, ihn tatsächlich zu gewinnen.

In Griechenland werden achtzig Prozent des Hausmülls in Deponien versorgt – zu einem Zeitpunkt, zu dem man in Europa bereits die Umkehrung der Müllhierarchie und die abfalllose Gesellschaft gesetzlich geregelt hat. Den steigenden Ansprüchen versuchten die Griechen mit der Planung von großen regionalen Müllbehandlungsanlagen Rechnung zu tragen. Diese Projekte sind freilich auf potente nationale Baufirmen zugeschnitten und haben zwei Nachteile – jedenfalls in den Augen der im Jänner 2015 ans Ruder gekommenen Linksregierung: Angesichts der niedrigen Recyclingraten leben die Anlagen von reichlichem Zufluss gemischter, kaum getrennter Siedlungsabfälle und es handelt sich um kapitalintensive Projekte im PPP-Verfahren (Partnerschaft der öffentlichen Hand mit Privaten). Das heißt, sie werden von privaten Baukonsortien kontrolliert. Wesentlich für dieses Konzept ist die sogenannte Mindestabnahmeklausel: Die Gemeinden in den Regionen müssen sich also dazu verpflichten, jahrzehntelang konstant Müll zu liefern und dafür einen hohen Eintrittspreis in die Bearbeitungsanlage zu zahlen. Andernfalls rechnet sich das Projekt für den privaten Unternehmer nämlich nicht.

Staatssekretär Tsironis argumentiert, das Konzept sei kontraproduktiv. Anstatt den Abfall an der Quelle zu trennen, zu recyclen und zu verwerten, um das Volumen zu verringern, müssten die Gemeinden möglichst viel Müll an die zentrale Bearbeitungsanlage liefern und dafür noch einen Haufen Geld zahlen.

Nach dem neuen Abfallkonzept aber müssen sie nun eigene lokale Bewirtschaftungspläne erstellen, die Müllflüsse effizient trennen und eigene, kleinere Bearbeitungsanlagen einrichten, die von der EU mitfinanziert werden – anstatt die Gelder des neuen EU-Rahmenprogramms 2014–2020 für die Großanlagen auszugeben.


Trennung endlich auch in Schulen.
Ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist, dass die Kompostierung bereits in den Haushalten und in Einrichtungen wie Spitälern, Kasernen und Schulen stattfinden, wo das bisher völlig vernachlässigt wurde. Der sorgfältig getrennte Müll soll danach mithilfe von Vergärungsanlagen verwertet werden, denn Verbrennungsanlagen sind in Griechenland nach wie vor tabu. Die Projekte sollen darüber hinaus – soweit möglich – nicht von privaten Firmen, sondern von den gemeindeeigenen Diensten verwirklicht werden. Diese hatte Tatoulis mit seiner Bemerkung über die Sowjets im Auge. Er spielte damals auf die aggressiven Gewerkschafter der Gemeindebediensteten an, die sich seit Jahrzehnten gegen eine Öffnung der Müllsammlung für Private sperren.

Schwer wiegen auch die Widerstände der Bevölkerung gegen Großprojekte. Viele Gemeinden wären – zumindest theoretisch – bereit, den eigenen Müll zu entsorgen, weigern sich aber heftig, in ihrer Nähe den Mist der anderen zu beherbergen. Paradebeispiel dafür war die Mülldeponie, die bis 2010 in der kleinen Gemeinde Keratea in Südattika geplant war und den Restmüll des Ballungsraums Athen-Piräus beherbergen sollte. Als im Dezember 2010 der Bauunternehmer mit Polizeischutz anrückte, stiegen die eigensinnigen Arvaniten von Keratea (Nachkommen von im Mittelalter eingewanderten Albanern) über Parteigrenzen hinweg auf die Barrikaden und lieferten der Polizei einen vier Monate langen, von Gewaltakten auf beiden Seiten geprägten Abwehrkampf. Das Ergebnis: Das Deponieprojekt wurde letztlich abgeblasen.

Aber auch die griechische Schuldenkrise und die damit verbundenen Finanzierungsprobleme sorgten für Verzögerungen bei den regionalen Müllprojekten. Erst jetzt, fünf Jahre nach den ersten Ausschreibungen, sind fünf davon vertragsreif. Zudem hat die Krise der Umwelt einen Dienst erwiesen: Das Müllaufkommen in Griechenland hat sich deutlich verringert. Das bedeutet aber auch, dass sich die Berechnungsgrundlage für die Unternehmer geändert hat. Die Anlagen rechnen sich für sie möglicherweise nicht mehr – oder nur mit höheren Eintrittspreisen.

Sehr selbstsicher forderte daher Staatssekretär Tsironis von den Regionen, die Großprojekte abzublasen. Aber nur in der Syriza-Politikerin Rena Dourou, der Regionalchefin von Attika, fand er dabei eine treue Verbündete. Sie hatte schon von sich aus die vier Ausschreibungen in Attika annulliert. Die anderen Regionen zeigten Tsironis selbstbewusst die kalte Schulter: In Westmazedonien schuf man Tatsachen durch die Unterzeichnung eines Vertrages mit dem größten Bauunternehmen Griechenlands. Und auch die anderen Regionen wollen ihre Pläne mit geringen Abstrichen umsetzen.

Da zeigte sich der Staatssekretär flexibel. Plötzlich hat er, zumindest öffentlich, gegen private Müllunternehmer keine Einwände mehr; und er genehmigte das Projekt in Westmazedonien. In anderen Regionen hingegen wird über die Verkleinerung der Projekte verhandelt.

Auf dem Peloponnes aber blieb der Minister hart: Das Konzept sei unsinnig, die Transportwege für den Müll viel zu weit, die Ausschreibung muss annulliert werden, forderte er, ohne die Rechnung mit dem Wirt zu machen. Denn der griechische Rechnungshof erklärte das Projekt im November für legal und unterschriftsreif. Die Regierung müsste die bestehenden Gesetze ändern, wenn sie das Projekt blockieren will – und die Baufirma, die den Zuschlag erhielt, entschädigen.

Zurzeit hat sich Tsironis also in eine Sackgasse manövriert. Nun bereist er den Peloponnes, um eine Palastrevolution der Gemeinden gegen ihren Regionalchef Tatoulis anzuzetteln. Größere Gemeinden haben durchaus ein offenes Ohr für eine selbstständige Müllbearbeitung und die damit verbundenen EU-Finanzierungen, aber insgesamt sind die Zweifel am grünen Müllprojekt immer noch groß.

Allgemein wird bezweifelt, dass die Gemeinden das Know-how und die Bürger den Willen haben, die Verwertung an der Quelle umzusetzen. Über zwanzig Jahre nach der Einführung der ersten Gesetze über Mülltrennung werden gerade 20 Prozent des Hausmülls getrennt, in der Industrie sind es gerade acht Prozent.


Träume von der besseren Welt.
Will der griechische Staatssekretär seine Pläne wahrmachen, müsste er bis 2020 die Quote von 50 Prozent erreichen. Wenn man den nachlässigen Umgang der Durchschnittsgriechen mit dem Müll in Betracht zieht, erscheint das utopisch.

Andererseits konnte sich keine der bisherigen Regierungen durchringen, kleine und große Umweltsünder zur Rechenschaft zu ziehen. So wird also der Müll zur Nagelprobe für die Syriza-Regierung insgesamt: Träumt sie nur öffentlich von einer besseren Welt, oder kann sie ihre Konzepte auch in die Tat umsetzen?

In Zahlen

900Millionen
an EU-Fördergeldern werden in Griechenland für die Müllbearbeitung bereitgestellt.

80Prozent
des griechischen Hausmülls werden in Deponien versorgt. Verbrennungsanlagen sind in Griechenland nach wie vor tabu.

20Prozent
der privaten Haushalte trennen Müll.

8Prozent
der griechischen Industriebetriebe trennen Müll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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