Volkswagen: Die Stinker des Jahres

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Nur dank raffinierter Manipulation erfüllten Millionen von Fahrzeugen aus dem Hause Volkswagen die Abgasvorschriften. Am Ende könnte "Dieselgate" aber Kunden und Umwelt helfen.

Viel peinlicher hätte der Skandal nicht sein können. Ausgerechnet im korrekten Deutschland, ausgerechnet bei Volkswagen, dem Inbegriff von Spießbürgertum in der Autowelt. „Gebauer, wo bleiben die Weiber“, soll das geflügelte Wort bei Ausflügen des Betriebsrats gewesen sein. Mit Prostituierten und wilden Parties in teuren Luxushotels erkaufte sich VW und sein Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer viele Jahre lang das Wohlwollen der Arbeitnehmervertreter. Der Skandal um die bestochenen Betriebsräte kam 2005 an die Öffentlichkeit, es gab Verurteilungen, Schuldeingeständnisse und das Gelöbnis, dass künftig alles besser werde.

Zehn Jahre später wird Volkswagen wieder von einem Skandal erschüttert – größer und schwerwiegender als der von 2005. Denn diesmal geht es nicht um skrupellose Manager und korrupte Funktionäre, diesmal geht es um skrupellose Manager und millionenfach betrogene Kunden. Mit den manipulierten Motoren, um die strengen Abgasvorschriften vor allem in den USA auf dem Prüfstand zu erfüllen, hat sich VW mehrfach geschadet: In Amerika hat man den Hoffnungsmarkt Dieselmotoren auf Jahrzehnte hinaus auch für die Mitbewerber Mercedes und BMW zerstört; den Sprung zur weltweiten Nummer 1, vor dem man noch heuer im Sommer stand, kann man vergessen; für große Innovationen und üppige Gewinnausschüttungen wird für lange Zeit das Geld fehlen. Kurze Zeit stand sogar die Zukunft des gesamten Konzerns auf der Kippe, als sich der Aktienkurs im September binnen weniger Wochen fast halbierte.

Zumindest auf den Aktienmärkten scheint der Skandal überstanden. Der Kurs zeigt seit Wochen nach oben. Wer richtig eingekauft hat, der konnte mit Volkswagen-Vorzugsaktien binnen drei Monaten 40 Prozent verdienen. Es scheint alles nicht so schlimm zu sein, wie es die Hiobsbotschaften am Anfang vermuten ließen. Es bleibt zwar bei der schier unglaublichen Zahl von elf Millionen betroffenen Fahrzeugen. Die Manipulationen lassen sich aber laut Konzern mit relativ geringem Arbeitsaufwand und Kosten von weniger als 100 Euro pro Fahrzeug beheben. Die 500 Millionen Euro, die man für die 8,5 Millionen Skodas, VWs, Audis und Seats in Europa budgetiert hat, sind etwa fünf Prozent des Gewinns des Jahres 2014 (10,9 Milliarden Euro nach Steuern). Und selbst wenn man in den USA möglicherweise tausende Pkw zurückkaufen muss, von den einstigen Horrozahlen von 40, 50 Milliarden Euro, die der „Dieselgate“ die Wolfsburger Automobilschmiede kosten könnte, ist man weit entfernt.

Das ist die eine Seite. Die andere Seite wiegt weitaus schwerer. Das verlorene Vertrauen wird man nicht so leicht zurückgewinnen können. Seit der genialen Werbebotschaft „Er läuft und läuft und läuft . . . “ war Volkswagen Synonym für Solidität. Kein anderes Auto symbolisierte deutsche Ingenieurskunst so wie ein VW: zuverlässig, ordentlich, mit viel Disziplin gefertigt. Wer es in den USA geschafft hatte, der kaufte sich ein deutsches Auto.

In den vergangenen Jahren gelang es sogar noch, sich in den Vereinigten Staaten ein sympathisches und umweltfreundliches Image zu geben. Etwa mit dem lustigen Super-Bowl-Werbespot über ein kleines Kind als Darth Vader verkleidet, das einen Passat zum Blinken bringt. Der Slogan „VW – das Auto“ konnten am Ende sogar US-Amerikaner aussprechen.


Hybris bei VW. Und dann das! Eine bewusste Irreführung der Kunden, die in den USA gerade anfingen, den Diesel zu entdecken. Viele Millionen hatte Volkswagen in den Vereinigten Staaten in die Meinungsbildung investiert, um den Amerikanern die Vorurteile von Dieselmotoren als laut, stinkend und schwach auszutreiben. Gemeinsam mit BMW und Mercedes hoffte man auf einen ähnlichen Siegeszug wie in Europa, dem die US-Autohersteller mangels Dieselerfahrung nichts entgegenzusetzen hatten. Nach den eingestandenen Manipulationen ist Diesel in den USA kein Thema mehr.

Hybris spielte eine große Rolle in dem Skandal. Denn die US-Umweltbehörde, die die Manipulationen aufdeckte, gab dem Konzern fast ein Jahr lang die Möglichkeit, nachzubessern. Man tat es nur ungenügend, die Rechnung dafür bekam man durch die Öffentlichmachung der Manipulation präsentiert, die den mächtigen Firmenchef Martin Winterkorn im Oktober zum Rückzug zwang.

Dass ausgerechnet er, der jedes neue Modell persönlich testete, nichts von den Manipulationen gewusst haben will, bezweifeln viele. Auch die Misstrauenserklärung von Ferdinand Piëch („Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“) im Frühjahr 2015, damals noch als VW-Aufsichtsratschef, erscheint nun in einem ganz neuen Licht. Wusste Piëch damals schon von den Manipulationen und ahnte, was kommt?

Beim Abgang Winterkorns zeigte VW wieder das Gespür, das man beim Abgasskandal vermissen ließ: Man fertigte den Vorstandsvorsitzenden nicht mit einem hohen Millionenbetrag ab – das hätte schlecht ausgesehen –, sondern überweist weiterhin still und heimlich monatlich ein Gehalt bis zum Auslaufen des Vertrags Ende 2016.

Um wie viele Jahre der Autokonzern durch den Dieselgate zurückgeworfen wurde, wird sich zeigen. Für die Kunden und die Umwelt hat der Skandal aber auch positive Folgen: Die völlig unrealistischen Verbrauchs- und Abgasangaben müssen weltweit angepasst werden – und der neue VW-Vorstandsvorsitzende Matthias Müller ließ kürzlich wissen: „Die Zukunft von VW liegt in der Elektromobilität.“

Fakten

11Millionen
Fahrzeuge sind weltweit von den Abgasmanipulationen betroffen. Es geht um Modelle von VW, Audi, Seat und Škoda mit Dieselmotoren mit 1,2, 1,6 und 2,0 Liter Hubraum und der Typbezeichnung
EA 189.

8,5Millionen
Fahrzeuge sind es allein in Europa. Sie müssen im kommenden Jahr in die Werkstatt. In Österreich sind 388.000 Pkw mit manipulierten Motoren unterwegs.

10,9Milliarden Euro Gewinn (nach Steuern) machte Volkswagen im Jahr 2014.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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