Oman: Schatten über der Schweiz Arabiens

Junge Omanis wollen Jobs – aber keine schwere Arbeit.
Junge Omanis wollen Jobs – aber keine schwere Arbeit.AFP
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Das Sultanat Oman hat in nur 45 Jahren einen beeindruckenden Entwicklungsschub erlebt. Die ungelöste Nachfolge des kranken Herrschers und die politischen Machtkämpfe in den Nachbarstaaten bedrohen aber das Idyll.

Hitze. Stille. Dünen. Und wieder Hitze. Nicht ohne Grund heißt die zweitgrößte Sandwüste der Welt, die weite Teile des Oman und Süd-Saudiarabiens bedeckt, Rub Al-Khali – leeres Viertel. Derzeit ist diese Einöde aber nicht ganz leer: Der britische Entdecker und Abenteurer Mark Evans durchwandert mit zwei Omanis 85 Jahre nach der ersten Durchquerung erneut die Wüste. Zu Fuß und mit Kamelen. Die Hälfte der knapp 1300 Kilometer langen Reise von Salalah im Süden des Oman nach Doha (Katar) hat die Gruppe, die am 10. Dezember 2015 startete, gerade geschafft.

Als Ausgangspunkt des geschichtsträchtigen Projekts wurde nicht von ungefähr der Sultanspalast in Salalah gewählt: Die außergewöhnliche Expedition soll nämlich nicht nur an den mutigen Briten Bertram Thomas und Scheich Saleh bin Kalut erinnern, die 1930 die unwirtliche Region bezwangen. Die modernen Eroberer bringen Sultan Qaboos ibn Said ein besonderes Geschenk zum 45. Nationalfeiertag, der an seinem 70. Geburtstag am 18. November 2015 gefeiert wurde.

Eine verrückte Idee? Nein, nicht wenn man weiß, welch enorme Wertschätzung Qaboos im Land, aber auch weit über die Grenzen hinaus genießt. Schließlich gilt er nicht nur seit Jahren als Vermittler zwischen den ungleichen „Brüdern“ auf der arabischen Halbinsel. Er schaffte es auch, die Erzfeinde Saudiarabien und Iran an den Verhandlungstisch der jüngsten Syrien-Konferenzen in Wien zu bringen. Und er zog die Fäden beim historischen Atomabkommen zwischen den USA und dem Iran. Weshalb viele Politbeobachter darauf setzen, dass Qaboos auch jetzt alle Register zieht, um den Konflikt zwischen den Saudis und dem Iran beizulegen.

Aber nicht nur die Welt setzt auf das Verhandlungsgeschick des Sultans. Vor allem die Omanis hoffen, dass ihr Land, das als Musterbeispiel für nachhaltige Reformen und politische Stabilität in der Region gilt, nicht im Sog der Machtkämpfe aufgerieben wird. Zumal die Nachfolge des durch eine schwere Krankheit geschwächten, kinderlosen Sultans nicht klar geregelt ist. Nicht wenige der 2,3 Millionen Omanis und rund 1,8 Millionen Ausländer, die in dem Sultanat leben und arbeiten, haben Angst, dass das Idyll eines religiös liberalen arabischen Landes, das anders als die Nachbarn am Golf weniger auf gigantomanischen Protz denn auf schrittweise Modernisierung setzt, jäh zerbrechen könnte.

Noch stehen die Zeichen auf Fortschritt – was sich allein an der Vielzahl der Baukräne, die den Besucher bei seiner Ankunft in der Hauptstadt Maskat begrüßen, ablesen lässt. Es scheint wie ein Märchen aus 1001 Nacht – wären da nicht die handfesten Beweise für die starke Entwicklung, die das Land in nur 45 Jahren durchlief.

Sonnenbrillen waren verboten. Als Qaboos, der unter anderem in der britischen Militäreliteakademie Sandhurst ausgebildet wurde, mit der Hilfe der Briten 1970 in einem mehr oder weniger unblutigen Putsch die Macht von seinem Vater übernahm, steckte das Land politisch und wirtschaftlich in der totalen Isolation. Gerade einmal zehn Kilometer asphaltierte Straßen habe es gegeben, von breiter Bildung sei keine Rede gewesen, auch Radios und Sonnenbrillen sollen verboten gewesen sein, wird erzählt.

Heute verfügt das östlichste Land der arabischen Halbinsel über ein Straßennetz von rund 35.000 Kilometern – jedes noch so kleine Dorf ist zumindest über eine Sandpiste erreichbar. In mehreren Fünfjahresplänen ließ Qaboos Schulen, Universitäten und Krankenhäuser, Einkaufszentren, eine Oper, Freizeitanlagen und Hotels errichten. Das Telefonnetz ist gut ausgebaut, Smartphones beherrschen auch in den Wüstenoasen die Szenerie.

Die Bemühungen des charismatischen Sultans, der nicht nur Staats- und Regierungschef, sondern auch Außen- und Verteidigungsminister, Chef der Streitkräfte und der Zentralbank ist und allgegenwärtig von Plakaten und Fahnen lächelt, haben gefruchtet. Die Analphabetenquote liegt bei nur mehr rund 13 Prozent, die Wirtschaft wächst im globalen Gleichklang zwar nicht mehr so stark wie 2012 (5,8 Prozent), aber immerhin noch mit 3,4 Prozent. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von rund 25.000 Dollar liegt der Oman an 30. Stelle des IWF-Rankings – knapp hinter Bahrain und vor Saudiarabien, aber auch dem Industrieland Südkorea.

Geschuldet ist das alles dem Öl, das seit den 1960er-Jahren gefördert wird: Es sprudelt zwar nicht ganz so üppig wie bei den Nachbarn, aber Reserven von 5,5 Milliarden Fass geben dem Nicht-Opec-Mitglied Oman dennoch genügend Rückhalt, um milliardenschwere Projekte durchzuziehen. Auch wenn durch den Ölpreisverfall die Einnahmen stark gesunken sind.

Qaboos, der trotz seiner absolutistischen Herrschaft dank der vielen Reformen von den Omanis über die Maßen verehrt wird, hat relativ früh erkannt, dass man rechtzeitig mit Diversifizierung für die Zeit vorsorgen muss, wenn das Öl einmal nicht so kräftig sprudelt. Ganz abgesehen davon, dass eine vernünftige Balance im Staatshaushalt Vorteile hat.

So bildet der weitere Ausbau der Infrastruktur einen Schwerpunkt: Die beiden größten Städte, Maskat und Salalah, erhalten neue Flughäfen, wobei der Airport in Salalah bereits seit November 2015 in Betrieb ist. Außerdem entstehen in mehreren Städten Regionalflughäfen.

In dem Land mit 1700 Kilometern Küste ist traditionell der Fischfang eine bedeutsame Einnahmequelle. Die Häfen, einst eben nur für den Fischfang genützt, sollen ausgebaut werden. Eines der Großprojekte entsteht in Duqm: Mit rund zwei Milliarden Dollar Investitionsvolumen soll ein neuer Hafen als Drehscheibe für eine Wirtschafts- und Industriezone entstehen.

Das größte und mit veranschlagten 16 Milliarden Dollar teuerste Infrastrukturprojekt des inzwischen als „Schweiz Arabiens“ bezeichneten Vorzeigelandes ist jedoch der Bau eines nationalen Eisenbahnnetzes.

Vom Ausbau der Infrastruktur soll nicht nur die Industrie, sondern auch der Tourismus profitieren. Rund zwei Millionen Touristen besuchten im Vorjahr das Land, das vor allem facettenreiche Natur zu bieten hat: herrliche Strände am Indischen Ozean, 3000 Meter hohe Berge mit Schluchten, die an den Grand Canyon erinnern, Wadis mit glasklarem Wasser – und natürlich die Wüste. Die neuen Hotelprojekte setzen sich gezielt vom Massentourismus ab. Einerseits entstehen Luxusressorts mit Jachthäfen und auch Golfplätzen. Andererseits setzt der Oman auf sanften Tourismus. Dazu gehören auch die meist von Beduinen betriebenen Wüstencamps, die mit „Camps“ im landläufigen Sinn soviel gemein haben wie eine Biwakschachtel mit einer Suite im Wiener Hotel Imperial.

Für die Modernisierung des ganzen Landes bedurfte es nicht nur Geldes, sondern vor allem Know-hows, das notgedrungen aus dem Ausland importiert wurde. Mit enormen finanziellen Anstrengungen in Bildung und Forschung sollen im Land selbst die Personalressourcen aufgebaut werden. Eine Fachschule für Tourismus in Maskat ist ein gutes Beispiel. Dort werden Burschen und Mädchen gleichermaßen zu Küchen- und Servicepersonal, aber auch Reisebüro-Fachleuten geschult.

Abhängigkeit verringern. Die Omanis sollen künftig aber nicht nur als Kaufleute (was sie seit Jahrhunderten sind) oder Beamte im Regierungsapparat arbeiten. Omanisierung lautet die von Qaboos ausgegebene Devise: Sie soll die Abhängigkeit von „Gastarbeitern“ aus dem Ausland verringern, die nicht nur Toppositionen bekleiden. Denn die Hände machen sich prinzipiell nur Inder, Pakistanis und Bangladeschis schmutzig. Sie fahren Taxi, reinigen Straßen, verlegen Pipelines und schuften auf den unzähligen Baustellen. Bis auch Omanis auf den Baugerüsten stehen, dürfte jedoch noch viel Zeit vergehen.

Gerade das Projekt Omanisierung zeigt, dass das Idyll auch Schattenseiten hat. Denn als sich im Zuge des Arabischen Frühlings auch im Oman zumindest zaghafter Protest regte, versprach Qaboos umgehend, 50.000 neue Stellen im öffentlichen Dienst zu schaffen und das Arbeitslosengeld auf 300 Euro zu erhöhen. Wohlgemerkt: Die Demonstranten forderten Jobs, nicht jedoch Arbeit. Die überlassen sie nämlich weiter den Gastarbeitern. Vorerst.

Morgen-Wunderland

Der Oman verfügt über 5,5 Milliarden Barrel Ölreserven. Das Öl bildet trotz Diversifizierung nach wie vor die wichtigste Einnahmequelle des Nicht-Opec-Mitglieds. Es steht für rund 46 Prozent des BIPs und 67 Prozent der Exporte.

Mit einem BIP pro Kopf von rund 25.000 Dollar liegt der Oman an 30. Stelle des IWF-Rankings – vor Saudiarabien.

Das größte Infrastrukturprojekt ist ein mehr als 2000 Kilometer langes Eisenbahnnetz, das die großen Häfen und Minen mit den wichtigen Städten verbinden soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2016)

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