Die spanische Wirtschaft erholt sich durch die steigenden Urlauberzahlen. Doch der ungebremste Boom hat nicht nur Vorteile.
Madrid. „Genieße deinen Urlaub in völliger Sicherheit.“ Mit diesem Slogan umwirbt Spanien ausländische Feriengäste. Der Lockruf wird gehört. Während die Terrorangst in der Türkei, in Tunesien und in Ägypten vielen Urlaubern die Reiselust verdirbt, boomt Spaniens Tourismus wie noch nie. Das Königreich verzeichnete 2015 mit 68 Millionen internationalen Touristen einen neuen Rekord. Spanien gilt als der große Krisengewinner im europäischen Tourismusgeschäft.
Auf den Kanarischen Inseln, Spaniens berühmtestem Winterreiseziel, war es über den Jahreswechsel voll. Flüge und Hotels waren restlos ausgebucht. Das beliebte Strand- und Surfparadies Fuerteventura zum Beispiel meldete für Dezember und Jänner ein Buchungsplus von satten 21 Prozent. Die milden Temperaturen, die auch mitten im Winter zu einem Bad im Meer oder im Pool einladen, machen den Reiz dieser bizarren Vulkaninsel aus.
Seit Jahren springt Spaniens Urlauberzahl von einem Gipfel zum nächsten. 2015 wuchs der Tourismus erneut um fünf Prozent. Die Kassen klingeln entsprechend. Spaniens Wirtschaftsmotor, der nach Jahren der Krise wieder ansprang, wird vor allem vom Urlaubsgeschäft angetrieben. Die Einnahmen von den Feriengästen – Spaniens wichtigstes Kapital – machen inzwischen zwölf Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes aus. „Der Tourismus ist die Lokomotive der wirtschaftlichen Erholung“, jubelt José Luis Zoreda, Vizechef des spanischen Reiseverbandes Exceltur. Der Sektor ist zugleich der wichtigste Produzent von Jobs, die das Land, in dem die Arbeitslosigkeit mit 21 Prozent immer noch erschreckend hoch ist, dringend braucht. Die Branchenexperten bezweifeln nicht, dass wenigstens ein Teil des Spanien-Booms der „wachsenden Instabilität“ bei den touristischen Konkurrenzländern am Mittelmeer zu verdanken ist.
Favorit: Katalonien
Nach jedem Attentat, bei dem Touristen ums Leben kamen, „hat die Zahl der Feriengäste in Spanien zugenommen“, heißt es bei Exceltur. Etwa nach dem Selbstmordanschlag in Tunesiens Urlaubshochburg Sousse oder dem Anschlag auf den russischen Charterflug vom ägyptischen Sharm el-Sheikh nach Sankt Petersburg. Das jüngste Attentat auf eine deutsche Urlaubergruppe in Istanbul dürfte die Spanien-Nachfrage weiter stärken.
Die beliebteste spanische Urlaubsregion ist mit Barcelona und der Costa Brava Katalonien. Dort macht ein Viertel aller ausländischen Touristen Urlaub. Das zeigt: Eine Abspaltung Kataloniens wäre für Spanien auch wirtschaftlich ein Verlust.
An zweiter Stelle der Beliebtheitsliste stehen die Baleareninseln mit Mallorca, auf denen die Deutschen fast 40 Prozent aller fremdländischen Gäste stellen.
Der ungebremste Boom hat nicht nur positive Auswirkungen. In allen spanischen Tourismuszentren ist eine Debatte über die Grenzen des Wachstums in Gang gekommen. Viele Touristenorte nähern sich in der Hochsaison dem Kollaps, was sich in Überbuchungen, Umweltproblemen und Lärmbelästigungen niederschlägt. Die Bewohner in Barcelonas Altstadt sind vom Besucherstrom so genervt, dass sie Protestschilder mit der Aufschrift „Tourist go home“ („Urlauber, hau ab“) an die Balkone hängen.
Touristensteuer auf Mallorca
Auf Mallorca soll nun eine „Steuer für nachhaltigen Tourismus“ erhoben werden. Sie liegt zwischen 50 Cent und zwei Euro pro Kopf und Nacht. Die Einnahmen, geschätzte 50 Millionen Euro pro Jahr, werden dem Ausbau der touristischen Infrastruktur dienen. Straßen, Parkplätze, Strandzugänge und Naturschutzgebiete sollen ausgebaut werden, um die Urlaubermassen zu bewältigen.
Mallorcas Hotelbranche fürchtet, die „Urlaubssteuer“ könnte die Reiselust bremsen. Doch dies ist nach der Erfahrung mit Kurtaxen oder Bettensteuern in anderen europäischen Tourismuszentren nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Dort wuchsen die Gästezahlen weiter. Und glaubt man Vorhersagen, so steuert ganz Spanien heuer erneut auf einen Urlauberrekord zu. (ze)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2016)