Bentley: Eine Brücke aus Papier

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BentleyDie Presse (Clemens Fabry)
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Für die britische Industrie wird China vom Hoffnungsmarkt zur Krisenregion. Schatzkanzler Osborne warnt vor einem "gefährlichen Cocktail".

Zur Feier des 45-jährigen Bestehens der Range-Rover-Baureihe ließ sich Jaguar Land Rover (JLR) etwas ganz Besonderes einfallen: In der chinesischen Stadt Suzhou errichtete der britische Autohersteller Mitte November eine 3,5 Meter hohe und fünf Meter lange Brücke aus 54.390 Bogen Papier. Das Bauwerk des britischen Künstlers Steve Messam wurde von einem Auto der Marke erfolgreich überquert und sofort ein Hit in den digitalen Medien.

Die Ortswahl für die spektakuläre Aktion erfolgte nicht zufällig. Suzhou wird wegen seiner Wasserwege und Brücken auch als Venedig des Ostens bezeichnet. Ein 2,3 Tonnen schweres SUV über eine Brücke aus nichts als Papier zu schicken demonstrierte nicht nur beeindruckende technische Fertigkeit, sondern auch eine gehörige Portion Selbstvertrauen. Am wichtigsten aber: China galt damals noch als der entscheidende Hoffnungsmarkt der britischen Exportwirtschaft.

Nach dem katastrophalen Jahresbeginn der chinesischen Wirtschaft sehen die Hoffnungen der britischen Exporteure heute hingegen dünn wie ein Blatt Papier aus. Das teure Pfund, die kriselnde Konjunktur in China und ironischerweise ihr hohes Ansehen setzen den britischen Ausfuhren enorm zu. „Britische Produkte sind so etwas wie der Goldstandard“, sagt Jian Tongbing, der Leiter des JLR-Flagship-Stores in Peking. „Sie stehen für ein vornehmes Lebenskonzept und sind Statussymbole.“ Chinas Neureiche lieben britische Produkte, auch Whisky ist ein Exportschlager.

Mehr Verkäufe in China als in Großbritannien

In Krisenzeiten gelten aber andere Maßstäbe. Nicht nur hat die Partei den kommunistischen Kadern untersagt, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Wie Kevin Rose, Verkaufschef des Luxusautoherstellers Bentley, sagt, gibt es noch ein weiteres Problem: „80 Prozent unserer Kunden in China sind Unternehmer. Wenn man Leute entlassen muss, will man dabei nicht gerade in einem Bentley Flying Spur vorfahren.“ Die Preise für die Limousine beginnen bei 142.800 Pfund (knapp 200.000 Euro).

Der Autohersteller aus dem Nordwesten Englands, heute Teil der Volkswagen Gruppe, verkaufte zuletzt in China mehr Autos als auf dem Heimatmarkt. Nur in den USA werden mehr Fahrzeuge der Traditionsmarke abgesetzt. Ähnlich ist die Situation bei Rolls-Royce: Die ultimative britische Luxusmarke (auch wenn sie längst BMW gehört) verkaufte im Vorjahr fast ein Drittel aller Autos im Reich der Mitte. Beide Hersteller haben schwere Luxusgeländewagen entweder fertig (Bentley Bentayga) oder in Entwicklung (Rolls-Royce mit Codenamen Cullinam).

Nachdem es russischen Oligarchen auch schon besser gegangen ist – die russische Wirtschaft schrumpfte im Vorjahr um fünf Prozent –, hoffen die Briten auf chinesische Kunden. Nicht nur die Wachstumsraten lagen hier in den vergangenen Jahren höher als in allen anderen Märkten, sondern auch die Profite. Der Analyst Max Warbourton von Bernstein Research warnte bereits vor den Turbulenzen zu Jahresanfang: „Wir haben noch einige Dramen vor uns.“ Bentley und Rolls-Royce meldeten zuletzt Verkaufsrückgänge um zwölf und zehn Prozent in China. Für kein Unternehmen trifft diese Warnung mehr zu als auf JLR. Als Ford das Unternehmen 2008 für 1,15 Milliarden Pfund (damals rund 1,3 Milliarden Euro) an den indischen Mischkonzern Tata verkaufte, waren die US-Amerikaner erleichtert, „dass man uns diese Last abgenommen hat“. Sechs Jahre und elf Milliarden Pfund Investitionen später wies JLR den höchsten Absatz seiner Geschichte, eine Verdoppelung der Mitarbeiterzahl und einen Rekordgewinn von 2,61 Milliarden Pfund aus.

Jaguar baut heute aufregende Autos in einer Qualität, die ihrem Premiumpreis auch entspricht. Land Rover hat seine geländegängigen Lastesel in goldene Esel verwandelt. Das Unternehmen verkauft 20 Prozent seiner Autos in China, machte hier aber 80 Prozent seiner Gewinne. Aber: „Der Goldregen ist vorbei“, sagt heute Professor David Bailey von der Aston University. JLR schnürte ein knallhartes Sparprogramm, will aber dennoch wachsen: Bis 2020 will das Unternehmen 4,5 Milliarden Pfund einsparen, 50 neue Modelle auf den Markt bringen und die Stückzahlen von 500.000 auf eine Million Autos verdoppeln. Auch wenn der Analyst Robin Zhu meint: „JLR hat heute den stärksten Produktzyklus“ aller Autohersteller, liegt das Unternehmen, das von dem ehemaligen BMW-Manager Ralph Speth geführt wird, bei Produktivität und Effizienz klar hinter den deutschen Vorbildern. „Wir müssen eine echte Schmerzbarriere durchbrechen“, sagt ein führender JLR-Manager. Für das dritte Quartal wurde wegen der schwachen Nachfrage in China ein Verlust ausgewiesen, zugleich warnte Speth vor einem Gewinnrückgang im Gesamtjahr 2015. Während China schwächelt, hoffen die britischen Exporteure auf die Erholung in den USA und eine bessere Konjunktur in der Eurozone.

Die jüngsten britischen Wirtschaftsdaten sprechen eine andere Sprache: Die Produktion in der verarbeitenden Industrie ging 2015 um 0,1 Prozent zurück. Zehntausende Jobs wackeln: So beschäftigt JLR 37.000 Mitarbeiter in Großbritannien, weitere 210.000 Jobs sind direkt von Zulieferungen abhängig. Die Stahlindustrie steht vor dem Aus – wegen chinesischer Dumpingpreise. Ökonomen nahmen die Prognose für 2015 von 2,6 auf 2,2 Prozent zurück und für 2016 auf 2,0 Prozent.

Vier Prozent der Exporte gehen nach China

In das Horn der Pessimisten stieß zuletzt auch Schatzkanzler George Osborne, der in seiner ersten Rede des Jahres vor einem „gefährlichen Cocktail“ aus Nahost, China und Rohstoffpreisverfall warnte. In Schottland gingen im Vorjahr 15 Prozent der Jobs im Öl- und Gassektor verloren und wurden mehr als zwei Milliarden Pfund an Investitionen gestrichen, da die älteren Nordseefelder zu den aktuellen Weltmarktpreisen nicht konkurrenzfähig sind. Die britische Außenhandelsbilanz verzeichnete 2015 mit fünf Prozent BIP den zweithöchsten Wert seit 1945. In dieser Situation ist die wachsende Ungewissheit über die Zukunft des Landes in der EU eine weitere Belastung für die Wirtschaft. 47 Prozent aller britischen Ausfuhren gehen in die EU, zugleich kommen 46 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen in Großbritannien aus EU-Staaten. Im Vergleich: Die britischen Exporte nach China betragen knapp vier Prozent. Der Ökonom Neville Hill von Credit Suisse warnt mit Blick auf die britische Außenhandelsbilanz: „Ein Nein zur EU könnte der Auslöser sein, der eine Sorge in ein echtes Problem verwandelt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2016)

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