Beinharter Kampf um die Lufthoheit

Ryanair-CEO Michael O'Leary
Ryanair-CEO Michael O'Leary APA/AFP (LEON NEAL)
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Europas Luftfahrt sucht Rezepte gegen den drohenden Verlust der Konkurrenzfähigkeit. Die größten Airlines haben ihre Gegner schon ausgemacht.

Michael O'Leary weiß, was er seinem Ruf als Enfant terrible der Luftfahrt schuldig ist. Und so sparte der Boss von Europas größter Billig-Airline, Ryanair, auch vor dem soignierten Kreis von Politikern und Topmanagern, die sich zum ersten europäischen Luftfahrt-Gipfel in Amsterdam trafen, nicht mit provokanten Statements. „Clevere Gesetze und Regulierungen – das ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich“, donnerte O'Leary in die Runde. „Europa ist die Heimat dummer Regulierungen.“

Das hat sogar EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc getroffen, die als einstige Spitzensportlerin (Basketball) harte Bandagen gewöhnt ist – aber sie hat viel Verständnis für die Sorgen der Branche. Denn die guten Gewinne, die die europäischen Airlines im Vorjahr gemacht haben und auch heuer erzielen dürften, sollten nicht täuschen: Die US-Konkurrenten verdienen viel besser. Der Weltluftverband IATA prognostiziert den amerikanischen Airlines heuer Nettogewinne von 19,2 Milliarden Dollar, während er für Europa von 8,5 Milliarden Dollar ausgeht. Was noch mehr zählt: In den USA entspricht das einem Ertrag pro Passagier von 21,44 Dollar und einer Nettomarge von 9,5 Prozent, während die Vergleichswerte für Europa nur bei 8,80 Dollar und 4,3 Prozent liegen.

Wirtschaften Lufthansa und Co. so schlecht? Keinesfalls. Im Gegenteil: Etliche Airlines, wie auch die AUA, haben es geschafft, mit beinharten Sparprogrammen und Restrukturierungen wieder in die Gewinnzone zu kommen. Laut IATA seien in den USA die Konsolidierung der Branche und die Zusatzeinkünfte, die Airlines durch Extragebühren für Gepäck, Speisen, Beinfreiheit usw. lukrieren, für die gute Ertragssituation verantwortlich.

Die Bosse der fünf größten europäischen Fluglinien, Lufthansa, British Airways, Air France/KLM, Ryanair und Easyjet, die mit dem gerade aus der Taufe gehobenen neuen Lobbyverband Airlines 4 Europe die Kräfte bei der Durchsetzung ihrer Anliegen bündeln, wissen genau, was ihre Wettbewerbsfähigkeit zu killen droht: zu hohe und vor allem uneinheitliche Steuern und Abgaben, unsinnige Regulierungen und ineffiziente Verwaltungs- und Kontrollsysteme. Beispiele dafür gibt es genug.

► An den zehn größten Flughäfen sind in den vergangenen zehn Jahren die Gebühren um 90 Prozent gestiegen, während die Ticketpreise im gleichen Zeitraum um 20 Prozent gesunken sind, besagt eine Studie des neuen Verbands. „Die Wertschöpfungskette stimmt nicht“, diagnostiziert Lufthansa-Boss Carsten Spohr. Es sei daher dringend an der Zeit, dass die EU den – meist – staatlichen Flughäfen, die ein Monopol hätten, auf die Finger klopfe.

► Die Reisenden werden aber nicht nur mit zu hohen Flughafengebühren belastet. Auch die Kosten für die Luftraumüberwachung (Überfluggebühren) seien zu hoch. Auch dies gehe letztlich zu Lasten der Passagiere.

► Das dritte heiße Thema: Rund fünf Milliarden Euro verbrennen Flugzeuge am Himmel über Europa pro Jahr, weil sie wegen des in 28 nationale Kontrollsysteme zersplitterten Luftraums Umwege und Warteschleifen fliegen müssen. Seit mehr als zehn Jahren wird über den einheitlichen europäischen Luftraum (Single European Sky, SES) geredet – bisher ohne Ergebnis. Schuld seien die Fluglotsen: Sie fürchten infolge der geplanten Zusammenlegung von Kontrolleinheiten um Arbeitsplätze und reagieren mit Streiks, die tausende Flüge lahmlegen. Die EU müsse daher vor Streiks Schlichtungen vorschreiben, fordert O'Leary.

► Und nicht zuletzt geht es um „nicht nachvollziehbare“ Steuern wie die Ticketsteuer, die in Österreich und Deutschland, seit Kurzem auch in Italien und Norwegen eingehoben wird. Dabei haben Studien etwa von PWC ergeben, dass der Entfall dieser Steuer die Wirtschaft ankurble und Zigtausende neue Arbeitsplätze bringe.
Dieser geballten Ladung an Argumenten konnte sich Bulc nicht verschließen: „Es ist klar, dass der Status quo keine Option mehr ist“, lautete ihr Resümee. Die Alternative liegt schon in Papierform vor: Bulc' neue EU-Luftfahrtstrategie, die mit einer Fülle von Maßnahmen auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit abzielt. Jetzt gilt es, die guten Vorsätze umzusetzen – aber viel rascher als bisher. Denn die Konkurrenz schläft nicht.

In Zahlen

900 Millionen Passagiere befördern die europäischen Fluglinien jährlich. Rund die Hälfte davon entfällt auf die fünf größten – Lufthansa (mit Swiss und AUA), British Airways (mit Iberia), Air France/KLM, Ryanair und Easyjet.

110 Milliarden Euro trägt die europäische Luftfahrtindustrie jährlich zur EU-Wirtschaftsleistung bei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2016)

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