Cargo Sous Terrain: Eine Rohrpost für die ganze Schweiz

CST-Fahrzeug
CST-Fahrzeug(c) Cargo Sous Terrain
  • Drucken

Ein revolutionäres Projekt soll den Schweizer Güterverkehr unter die Erde bringen. Ist dieses automatisierte „Internet der Waren“ die Transportform der Zukunft?

Wien/Bern. Es klingt wie aus dem Drehbuch für einen frohgemuten Science-Fiction-Film: Von der Geisterhand der Software bewegt fährt eine Art Güter-Metro unter der Schweiz, vom Boden- bis zum Genfer See. In 50 Metern Tiefe transportieren selbstfahrende Wägelchen mit je zwei Paletten oder kleinen Containern Waren aller Art. An der Decke der Tunnels flitzen Pakete von Versandhändlern mit 60 km/h ihrem Empfänger entgegen. Über der Erde gibt es keinen Stau mehr, die Umwelt ist entlastet, die Waren kommen schneller an. Nur eine schöne Utopie?

Was ein Konsortium diese Woche präsentiert hat, wirkt erstaunlich konkret: Es liegt eine Machbarkeitsstudie vor, die Cargo Sous Terrain als technisch realisierbar und wirtschaftlich rentabel ausweist. Hinter dem Megaprojekt stehen große Kaliber der eidgenössischen Wirtschaft: Initiiert haben es die Handelsriesen Migros und Coop. Im Boot sind der Telekom-Konzern Swisscom, die Schweizer Post, die Schweizer Bahn – und ein Partner aus Österreich: Der Vorarlberger Baukonzern Rhomberg, der sich als Bahntechnik-Experte lukrative Aufträge erhoffen darf.

Das private Konsortium will sich ohne staatliche Unterstützung finanzieren. Wohl auch deshalb sehen die Schweizer Politiker die Pläne durchwegs positiv. Sie planen schon ein Gesetz, das den Sanktus für die Streckenführung geben soll. Der erste Abschnitt mit 67 Kilometern ist im Mittelland bis Zürich geplant, mit einem Dutzend Stationen, wo die Güter über Lifte auf die Fahrzeuge geladen werden. Er soll 2028 in Probe- und 2030 in Echtbetrieb gehen. Die Kosten dafür wären hoch: 3,5 Mrd. Franken. Dennoch soll die Rohrpost der Zukunft schon nach vier Jahren Gewinne schreiben. Wesentlich schneller könnte dann der Vollausbau erfolgen: ein Netz von St. Gallen bis Genf, von Basel bis Luzern.

Aus der Not geboren

Revolutionäre Ideen sind oft aus der Not geboren. Wie in diesem Fall der „Camion-Flut“, unter der die Schweizer ächzen: Die Autobahn A1, quer durch die Kernzonen des Landes, ist schon jetzt am Limit, die rechte Spur oft eine einzige Lastwagenkolonne. Die Prognosen rechnen mit einer Zunahme des Verkehrs von bis zu 50 Prozent bis zur Jahrhundertmitte. Das heißt: Ohne baldige Entlastung ist ein Dauerstau programmiert. DieCargo-„U-Bahn“ wäre strombetrieben, der CO2-Ausstoß um 80 Prozent geringer als beim Transport auf der Straße.

Doch es geht nicht nur um eine Schweizer Lösung für ein Schweizer Problem. Wenn auch Google Interesse zeigt, steckt meist mehr dahinter. Für Logistiker gibt das geplante System mögliche Antworten auf dringende Zukunftsfragen.

Die Industrie fordert immer ausgefeiltere Just-in-Time-Anlieferung. Der Handel wandert immer stärker ins Netz, der Onlinekunde lässt sich seinen Minibedarf nach Hause liefern. Dadurch werden die zu transportierenden Mengen immer kleinteiliger. Die Lieferung im Lkw rechnet sich aber nur, wenn er voll beladen ist. Das führt zu unnötig langen Lieferzeiten und unnötig großen Lagern. Im Konzept von Cargo Sous Terrain fahren die dicken Brummer nur noch bis zu den Stationen („Hubs“), mit stark gebündelten Mengen. Einmal unter der Erde, ist die Kapazität für die Kleinmengen fast unbegrenzt.

Ein Gefährt folgt dem anderen, rund um die Uhr, denn es gibt kein Nachtfahrverbot und keine müden Lenker. Weil die schöne neue Unterwelt ohne Menschen auskommt, können sich die Tunnelbauer viele technisch komplexe und teure Sicherheitsvorkehrungen sparen. Das System wäre eine Art logistisches Internet: Jeder darf es nutzen, zwar nicht gratis, aber zu einheitlichen Preisen. Auf welchen Wegen die Ware ihr Ziel erreicht, bräuchte wie bei den Informationsströmen im World Wide Web außer den Programmierern niemanden zu interessieren.

Freilich: Rentieren kann sich ein solches Netz nur in stark besiedelten Gegenden mit reger Wirtschaftsaktivität und viel Industrie. Aber die gibt es, auch in Österreich. Schon das Vorarlberger Rheintal gleich hinter der Grenze böte sich an, ein Anschluss an ein schon bestehendes Schweizer System könnte relativ kostengünstig erfolgen. In Deutschland wäre etwa der Großraum Stuttgart ein Kandidat – und natürlich das Ruhrgebiet. Dort, auf der Uni Bochum, hat ein Forscherteam mit dem Entwurf CargoCap die technologische Pionierarbeit für die Schweizer Träume geliefert.

Ob sie Wirklichkeit werden oder der aktuellen Euphorie ein ernüchtertes Erwachen folgt, dürfte sich bald zeigen, sobald das erste Geld fließen muss. Sollte sich das Konzept aber bewähren, haben die Schweizer künftig den Vorsprung der Mutigen – und alle anderen schauen durch ihre Röhre.

AUF EINEN BLICK

Cargo Sous Terrain ist ein geplantes Logistiksystem für die Schweiz. Es soll Waren unterirdisch in automatisierten, elektrisch betriebenen Wagen auf Schienen transportieren. Auf einem ersten Abschnitt von 67 Kilometern könnte 2028 ein Probe- und 2030 der Echtbetrieb starten. Für das privat finanzierte Projekt sind 3,5 Mrd. Franken veranschlagt. Die Politik will mit einem Gesetz noch heuer grünes Licht geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.