USA: Für immer Tellerwäscher

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Die Ungleichheit in den USA ist sehr hoch. Aber die Amerikaner tolerieren sie gern, weil es bei ihnen „jeder schaffen kann“ – ein Irrtum.

Wien. Worauf eine Nation stolz ist, muss sie mit sich selbst ausmachen. Das Wahlverhalten der Amerikaner zeigt: Sie können damit leben, dass bei ihnen Einkommen und Vermögen ungleicher verteilt sind als anderswo. Auch soziale Sicherheitsnetze europäischer Art fordern sie nicht. Solange der American Dream mehr ist als ein Traum: dass es in ihrem Land jeder schaffen kann, auch ganz nach oben, wenn er tüchtig ist. Starke Umverteilung, so die Idee, würde da nur stören, weil sie Leistungsanreize unterdrückt und das Vorbild der superreichen Selfmademen weniger hell erstrahlen lässt.

Niemand muss sich also wundern, wenn ein Forschungszentrum der Uni Stanford die USA in Sachen Ungleichheit an allerletzte Stelle reiht, unter zehn reichen Ländern – mit Finnland an der Spitze. In einer größeren Gruppe von 21 Staaten landet Amerika auf Platz 18 (hier sind osteuropäische Länder mit nur mittlerem Wohlstandsniveau dabei, die nicht alle Daten liefern können). So weit, so klar. Aber Details geben zu denken.

Denn zu den üblichen Parametern gesellen sich zwei historische Stärken Amerikas. Zum einen der flexible und wenig regulierte Arbeitsmarkt, der als Jobmaschine gilt. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Zwar ist die Arbeitslosenquote niedrig, aber sie erfasst nicht jene, die nicht (mehr) einen Job suchen. Relevanter ist die Beschäftigungsquote. Und hier reicht es mit 75 Prozent der 25- bis 65-Jährigen nur für Rang acht von zehn (bzw. 17 von 21). An erster Stelle: Deutschland mit 85 Prozent.

Und dann ist da die soziale Mobilität, die sich die Amerikaner seit jeher stolz auf ihre sternebesäte Fahne schreiben. Aber es zeigt sich: Ein dänischer Tellerwäscher hat viel bessere Chancen, sich zum Millionär zu mausern, als sein Kollege aus dem Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten.

Die verwendete Kennzahl misst die Abhängigkeit der Aufstiegschancen vom Elternhaus. Der US-Wert von 0,47 bedeutet: Wenn ein amerikanischer Vater doppelt so viel (um 100 Prozent mehr) verdient als ein anderer, wird der Sohn des reicheren, wenn er erwachsen ist, im Schnitt um 47 Prozent mehr verdienen als der des ärmeren. In Dänemark sind es nur 15 Prozent. Deutschland liegt mit 32 Prozent im Mittelfeld (Österreich ist nicht erfasst, liegt aber bei vergleichbaren OECD-Kennzahlen relativ gut).

Segregation als Teufelskreis

Näher betrachten die Autoren die angelsächsischen Nationen – mit verwandter Kultur, ähnlich liberalen Grundsätzen und schwächer ausgebautem Wohlfahrtsstaat. Aber auch hier gibt es zwei Gruppen: Die USA und Großbritannien mit hoher Ungleichheit und schlechter sozialer Mobilität – und Kanada und Australien mit weit besseren Werten in beiden Dimensionen. Diese scheinen zu korrelieren, was den sehr unamerikanischen Verdacht nährt, dass schlechte Chancen die Folge von großer Ungleichheit sein könnten.

Die Forscher skizzieren – „unbewiesen“, wie sie ausdrücklich betonen, eine plausible „Feedback-Schleife“ – besser: einen Teufelskreis. Er hängt mit der räumlichen Trennung von armen und reichen Haushalten zusammen, die in den USA extrem stark ist – tatsächlich sind auch die Einkommensunterschiede zwischen Staaten und Regionen innerhalb der USA größer als im westlichen Europa. Ärmere Kinder wachsen typischerweise in ärmeren Viertel auf und gehen auf schlechtere Schulen. Auf den guten Schulen haben die besser gestellten Kinder weniger Konkurrenz „von unten“, was ihre Karriere erleichtert. Sie ziehen später in noch teurere Viertel, die Segregation nimmt weiter zu. Das ist gesellschaftlich von niemandem gewollt, aber „das Resultat von Kräften“, die „außer Kontrolle geraten“.

Ob starke Ungleichheit wie in den USA zu mehr Leistung motiviert oder unfair wird, weil sie Chancen zerstört: Das ist eine ideologisch stark aufgeheizte und in der Forschung ungelöste Frage. Der „Bericht zur Lage der Nation 2016“ in Sachen Ungleichheit schlägt sich gar nicht ganz auf die „linke“ Seite, sondern versucht zu vermitteln. Er betont nämlich einen Vorteil der USA: Das Land ist in der Lage, großen Reichtum zu produzieren. Armut wird immer relativ zu einem Mittel gemessen, und wer in Amerika arm ist, wäre woanders gut gestellt. Die Wirtschaft ist auch so hoch entwickelt, dass breite Schichten der Bevölkerung davon profitieren. Denn die Armut auf Basis der Markteinkommen ist sogar am zweitniedrigsten in der Gruppe der Zehn.

Erst der „anämische“ Sozialstaat bewirkt, dass bei der Armut auf Basis der tatsächlich verfügbaren Einkommen die USA so stark abfallen. Das mache aber Hoffnung. Denn die Wirtschaft „so umzugestalten, dass sie höhere Markteinkommen liefert“, wäre schwer. Den Sozialstaat auszubauen sei viel leichter. Es müsse gar kein „sozialdemokratisches“, also sehr engmaschiges Netz wie in Kontinentaleuropa sein. Es genüge schon ein Anheben auf das Niveau „anderer liberaler Volkswirtschaften“, um „sehr gut voranzukommen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2016)

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