China gibt EU-Stahlbranche den Rest

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China produziert viel mehr Stahl, als es selbst verbraucht, und überflutet die EU mit billigem Stahl. Europas Stahlkocher kommen nicht mehr mit. Dafür hat auch Brüssel selbst gesorgt.

Peking. Was geht es uns an, wenn in China ein Sack Reis umfällt? Dieses Sprichwort dürfte außer Gebrauch gekommen sein. Denn egal, ob in China die Aktienmärkte abstürzen oder der dortige Konsum schwächelt – das Land ist inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wenn die chinesische Wirtschaft erlahmt, hat das unmittelbare Folgen auch auf Europa. Eine Branche bekommt diesen Effekt derzeit besonders drastisch zu spüren: die Stahlindustrie.

Ein fast zwei Jahrzehnte lang anhaltender Bauboom im Reich der Mitte führte dazu, dass die chinesische Stahlindustrie monströse Ausmaße angenommen hat. Das Land ist der mit Abstand größte Stahlhersteller. Allein die um die Hauptstadt Peking liegende Provinz Hebei produziert so viel Stahl wie ganz Europa zusammen. Doch seit einiger Zeit verlangsamt sich Chinas Wirtschaftswachstum. Nach Jahren der übertriebenen Expansion befindet sich die Baubranche in einer regelrechten Krise.

China treibt den Preisverfall

Trotz der geringen Nachfrage sehen die meisten chinesischen Stahlhütten nur wenig Grund, ihre Produktion zu drosseln. Die Rede ist von rund 200 Millionen Tonnen an Überkapazitäten. Um nicht darauf sitzen zu bleiben, überschwemmen die Hersteller aus Fernost daher schon seit Monaten den Weltmarkt – und sorgen für drastisch fallende Preise.

Das trifft vor allem die europäische Stahlindustrie stark. Die Branche leidet schon ohne den China-Effekt unter starken Überkapazitäten und politischen Regulatorien. Vor allem die strengen Klimaziele der EU bereiten den Stahlerzeugern Sorgen. Sollte Brüssel an seinen Plänen festhalten, sei „die Stahlproduktion für ThyssenKrupp dann nicht mehr möglich“, sagte Heinrich Hiesinger, Chef des deutschen Stahlkonzerns, kürzlich.

Die Schwemme an Billigstahl aus China verschärft die Situation zusätzlich. Europäische Stahlverbände beklagen, dass im dritten und vierten Quartal 2015 die Auftragseingänge genau deshalb regelrecht eingebrochen sind. Selbst Arcelor Mittal, Europas größter Stahlkonzern, steht unter Druck. In der zweiten Hälfte 2015 seien die Preise um 40 Prozent gefallen und lägen inzwischen unterhalb der europäischen Produktionskosten. Frank Schulz, Deutschland-Chef von Accelor Mittal, spricht von einer „massiven Belastung des Stahlmarktes in Europa“.

Die chinesische Führung ist sich selbst unschlüssig, wie sie mit dem Problem der Überkapazitäten umgehen soll. Denn einige der ganz großen Stahlunternehmen in Staatsbesitz sitzen nicht nur auf Tonnen an Stahl, sondern haben auch enorme Schuldenberge angehäuft. Der marktorientierte Reformflügel um den chinesischen Premierminister, Li Keqiang, fordert bereits seit einiger Zeit die Schließung dieser Betriebe – zumal sie mit ihrer Produktion auch verantwortlich für die verheerende Luftverschmutzung in China sind. Der Staatsrat hat auch schon einen Plan vorgelegt, durch den die Stahlproduktion um 100 bis 150 Millionen Tonnen reduziert werden soll – allerdings auf einen Zeitraum von fünf Jahren gestreckt.

Anti-China-Demo in Brüssel

Doch diese Maßnahmen stoßen auf zum Teil erbitterten Widerstand. Der andere Flügel beharrt auf den Erhalt der Staatsbetriebe. Seine Anhänger messen der Stahlindustrie für Chinas weitere Entwicklung eine zentrale Rolle bei. Sie warnen zudem vor sozialen Unruhen, sollten zu viele Stahlarbeiter in kurzer Zeit auf die Straße gesetzt werden. Lokale Medien berichten von 400.000 Menschen, die entlassen werden müssten, würden die Pläne des Staatsrats umgesetzt.

Mit der Flut an billigem Stahl nach Europa gefährdet die chinesische Führung jedoch zugleich ihr Ziel, von der Europäischen Union den sogenannten Marktwirtschaftstatus gewährt zu bekommen. Für China ist diese Anerkennung sehr wichtig. Denn dieser Status würde chinesischen Unternehmen einen leichteren Zugang auf Europas Märkte gewähren.

Die EU-Staaten hatten China diesen Status schon 2001 beim Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) in Aussicht gestellt. Doch bislang zögern sie. Sie befürchten, dass chinesische Billigprodukte noch leichter auf europäische Märkte gelangen, während China ausländische Firmen in einigen Schlüsselbranchen weiter vom eigenen Markt ausschließt. Die EU hat der chinesischen Führung jedoch zugesagt, bis Dezember eine Entscheidung zu fällen.

Das Mercator-Institut für China-Studien in Berlin warnt vor einer zu raschen Einigung. „Es dürfte erheblich schwerer werden, künftig Anti-Dumping-Zölle auf billige chinesische Importe zu erheben“, heißt es in einer aktuellen Studie. „Ohnehin schon angeschlagenen europäischen Branchen könnte ein neuer Preiskrieg drohen.“ Die Autoren empfehlen eine Verlegung der Dezember-Frist, damit die EU-Staaten mehr Zeit für ein koordiniertes Vorgehen haben. Sonst drohe „ein Vertrauensverlust von Teilen der Wirtschaft und bei den Bürgern“.

In der europäischen Stahlindustrie gibt es diesen bereits: Deren Beschäftigte wollen am Montag zu Tausenden in Brüssel gegen Chinas Anerkennung als Marktwirtschaft auf die Straße gehen.

AUF EINEN BLICK

Die Überproduktion der chinesischen Stahlindustrie trifft Europa. In der weltweiten Stahlproduktion steht die EU an zweiter Stelle, die Nummer eins ist China. Die chinesischen Hersteller drängen verstärkt auf die Weltmärkte, da die heimische Nachfrage schwächelt. Die Stahlpreise sind massiv gefallen – auch wegen internationaler Überkapazitäten. Die europäischen Stahlkocher sehen sich zudem durch hohe Energiepreise und Umweltsteuern belastet. Sie haben nach Verbandsangaben seit 2008 rund 85.000 Stellen abgebaut, das sind mehr als 20 Prozent der Beschäftigten insgesamt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2016)

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