Quelle-Katalog: Bibel der Kleinbürger droht das Ende

(c) AP (Eckehard Schulz)
  • Drucken

Der Versandhändler Quelle braucht staatliches Geld, um doch noch einen Katalog zu drucken. Seit Jahren spekuliert man über das Ablaufdatum der dicken Universal-Kataloge.

Ihre Blütezeit ist lang vorbei: Vor 20, 30 oder mehr Jahren hat man noch auf die dicken Kataloge gewartet, die zweimal im Jahr schicke Mode oder billige Waschmaschinen bis ins abgelegenste Dorf gebracht haben.Eines der traditionsreichen Versandhäuser, Quelle, ringt nun ums Überleben. „Unsere kleinbürgerliche Hölle“, so nannte Hans Magnus Enzensberger die armdicken Bilderbücher 1960 in der „Zeit“; das deutsche Feuilleton bezeichnet sie heute als die „Enzyklopädien des Konsums“ oder „Bibeln des deutschen Wirtschaftswunders“. Dabei liegen die Anfänge des Quelle-Katalogs noch weiter zurück.

1927 gründete Gustav Schickedanz im fränkischen Fürth das Unternehmen. Im Jahr darauf erschien der erste Prospekt, eine mehrseitige Produkt- und Preisliste, die ein „Führer durch die Sorgen des täglichen Lebens“ für das aufstrebende Kleinbürgertum sein wollte. Dieser Tage wird der vielleicht letzte Quelle-Katalog gedruckt, mit Geld, für das nach der Insolvenz des Mutterkonzerns Arcandor der Staat herhalten muss. Trotz eines Massekredits über 50 Millionen Euro – 20 Millionen Euro davon braucht Quelle, um den Katalog zu drucken – wurden die Druckmaschinen am Freitag gestoppt. Die Druckereien fürchten, dass sie auf ihren Kosten sitzenbleiben.

Selbst wenn der Winterkatalog ausgeliefert wird, ist die Zukunft unsicher. Denn der Insolvenzverwalter hat nur ein halbes Jahr Zeit, um den früheren Handelsriesen wieder flott zu machen.

Versandhandel wächst. Dabei wächst der Versandhandel kontinuierlich, ebenso sein Anteil am gesamten Einzelhandel: 2008 lag er in Deutschland bei 7,2, in Österreich bei gut sechs Prozent, aber nicht aufgrund der alten Kataloge, sondern längst wegen des Internets. Das reine Kataloggeschäft hat in Deutschland von 2007 auf 2008 fast fünf Prozent des Umsatzes eingebüßt, während Internethändler um 40 Prozent zugelegt haben. Im Weihnachtsgeschäft 2008 wurde via Netz erstmals mehr verkauft als über Katalog, Vertreter, Herstellerversand und Teleshopping zusammen. Auch Quelle, Neckermann, Otto oder Universal sind mittlerweile „Multi-Channel-Händler“ und sehen ihre Chancen durchwegs im Internet. Mehr als 30 Prozent der Bestellungen der Versandhändler kommen heute aus dem Netz. Neckermann peilt bis 2010 einen Anteil von 70 Prozent an, Otto erzielt bereits mehr als die Hälfte des Umsatzes im Internet und ist hinter Amazon der zweitgrößte Online-Händler Deutschlands.

Konzept veraltet. Seit jede mittlere Stadt durch Handelsketten und Einkaufszentren an die Welt der billigen, internationalen Ware angeschlossen wurde, wartet kaum jemand mehr sehnsüchtig auf die Kataloge. Trotzdem hat der Versandhandel eine große Zukunft, besagt eine Studie der Deutschen Bank. Bis 2013 soll der Marktanteil in Deutschland auf 15 Prozent wachsen, sich mittelfristig bei etwa 20 Prozent einpendeln. Die Käufer wollen Zeit sparen und individuelle Produkte aus einem riesigen Sortiment wählen. All das bietet das Internet.

Trotzdem: „Der Katalog ist noch lange nicht tot“ – immer wieder strapazieren die Händler den Satz. Noch brauche man ihn, vor allem zum Schmökern, denn bestellt wird im Internet, sagt ein Quelle-Sprecher. Aber die Produktionskosten sind enorm. Quelle Deutschland braucht allein 20 Millionen Euro, um das 1400 Seiten starke Werk, in dem 78.000 Artikel angepriesen werden, in neunmillionenfacher Ausfertigung zu drucken. In Österreich landet das Zwei-Kilo-Produkt in jedem dritten Haushalt. Hierzulande laufe das Geschäft von Quelle gut, heißt es aus der Linzer Zentrale, Quelle Österreich stehe „auf guten finanziellen Beinen“, der Katalog werde sicher geliefert.

Den Versandhändlern wirft man nun dasselbe vor wie den sterbenden Warenhäusern: Ihr Konzept sei veraltet. „Alles in einem Katalog“ brauche man ebenso wenig wie „alles unter einem Dach“. Seit Jahren kämpfen die Versandhäuser mit einem rückläufigen Kataloggeschäft. Wachstum verspricht der Handel in Osteuropa, über Spezialkataloge und natürlich im Netz. Das Ablaufdatum der dicken Universal-Kataloge ist seit Jahren Thema.

Zum Beispiel 2008, als Arcandor den Versandhändler Neckermann an den Finanzinvestor Sun verschenkt hat. Neckermann wurde in der Folge einer Radikalkur unterzogen: Mehr als 500 Arbeitsplätze, etwa jede zehnte Stelle, wurden abgebaut. Vor allem in den Callcentern kam es zum Kahlschlag. Denn seit die Kunden online mit wenigen Klicks bestellen, braucht niemand mehr Hunderte Mitarbeiter, die auf Telefonbestellungen warten. Auch die Liste derer, die einen teuren Katalog bekommen, wird durchforstet. Wer nicht genug bestellt, wird aussortiert. In der Schweiz verschickt Neckermann seit 2008 keine Kataloge mehr. Die Schweizer seien übermäßig Internet-affin, heißt es. Hierzulande aber werde es noch lang Kataloge geben, meinte der damalige Neckermann-Chef Martin Lenz 2008 im „Presse“-Interview.

Heiße Ware im Osten. Zuwächse im reinen Kataloggeschäft kommen allenfalls noch aus Osteuropa. Die Quelle-Kataloge waren dort schon heiße Ware, lange bevor man daraus bestellen konnte. Hohe Summen wurden am Schwarzmarkt bezahlt, um die bunte Mode aus dem Westen zu studieren, ohne Aussicht, diese je selbst tragen zu können.

Der pubertierenden Jugend dienten die Illustrationen zu Solarien oder Betten als Ersatz für Schlüssellochhefte. Auch heute verzeichnen die Versandhändler im Osten starke Umsatzzuwächse. Quelle hat 2008 rund 180 Millionen Euro allein in Russland umgesetzt, mittelfristig will man Waren um eine Milliarde verkaufen. Russland bietet Quelle Umsatzrenditen von etwa acht Prozent. Und nach wie vor heftet sich der Marktführer auf die Fahnen, „der Inbegriff für hochwertige Ware aus dem Westen“ zu sein.Zumindest in Russland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.