Indien auf dem Weg zur Weltmacht

(c) APA/AFP/INDRANIL MUKHERJEE
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Mit radikalen Reformplänen hofft Premier Modi, Indien zum neuen Wirtschaftswunderland Asiens zu machen. Doch noch steckt der Subkontinent in seinen alten Problemen fest.

Bangalore. Die indische IT-Firma Wipro hat für ihre Angestellten ein Paradies im Grünen errichtet: Das Firmengelände des weltweit führenden Software-Dienstleisters liegt mitten in einer großen Parkanlage. Fitness- und Gesundheitszentren, Restaurants, Geschäfte, sogar ein kleines Gehege mit bunten Schmetterlingen gibt es hier.

Wipro ist ein typisches Unternehmen in Electronic City, dem indischen Silicon Valley am Rande der Millionenmetropole Bangalore in Südindien. Das IT-Viertel mit seinen schattigen Alleen und architektonisch extravaganten Firmengebäuden beherbergt etwa 200 IT-Unternehmen, die das indische Wirtschaftswachstum beflügeln.

Electronic City ist das markante Gesicht des neuen Indiens: dynamisch, jung und innovativ. Orte wie diese machen das Land zum asiatischen Hoffnungsmarkt, der angesichts des Erlahmens Chinas für Investoren wieder attraktiv geworden ist. Immerhin wächst keine andere größere Volkswirtschaft der Welt heuer so schnell wie Indien (7,6 Prozent, glaubt man offiziellen Zahlen). Auch demografisch stellt das 1,3-Milliarden-Einwohner-Land den Rivalen in den Schatten: Laut Weltbank wird Indien in sieben Jahren das schnell alternde China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen.

„Clean India“

Nur wenige Kilometer von Electronic City entfernt, auf der holprigen Hauptstraße Richtung Stadtzentrum, wird eine andere Seite Indiens sichtbar. Fußgänger und gelegentlich eine Kuh drängen sich an hupenden Fahrzeugen vorbei. Ein Bub schlängelt sich durch den Verkehr und versucht, Autofahrern knallrosa Zuckerwatte zu verkaufen. Hinter einem halb fertigen Hochhaus hat irgendjemand auf schlammiger Erde provisorische Hütten errichtet, die mit blauen Plastikplanen überdeckt sind. Leere Flaschen und zerfetzte Plastiksäcke liegen am staubigen Straßenrand. Ein Plakat daneben bewirbt „Clean India“ , also saubere Städte. Es wirkt etwas fehl am Platz.

„Clean India“ ist einer der flotten Slogans, mit denen Premier Narendra Modi nach dem Erdrutschsieg seiner national-hinduistischen BJP bei der Wahl im Mai 2014 das Land verändern will. Er versprach, Armut zu bekämpfen und Bildung zu fördern. Und dank radikaler Reformen soll Indien in den nächsten fünf Jahren für Investoren geöffnet und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Bürokratie soll abgebaut, Korruption bekämpft und marode Infrastruktur saniert werden.

Modis Traum einer wirtschaftlichen Weltmacht stößt sich derzeit an der harten indischen Realität: 30 Prozent aller Inder leben von weniger als einem Dollar pro Tag, größte Armut herrscht auf dem Land. Täglich drängen Tausende Bauern in die desolaten Slums der Großstädte. Die Hälfte aller Inder hat keine Toilette daheim, 300 Millionen haben keinen Zugang zu Elektrizität. Die stets wachsende Masse an armen jungen Menschen kann nur schlecht in den Arbeitsmarkt integriert werden: Nur fünf Prozent besitzen eine Berufsausbildung.

Reformvorhaben stecken fest

Trotzdem überzeugt Modis Reformwille inzwischen Diplomaten und Geschäftsleute. Unter Indern ist die anfängliche Euphorie aber abgekühlt: Die BJP verlor zuletzt bei Lokalwahlen massiv an Stimmen. Große Worte, zu wenig Taten, so der Grundtenor der Kritiker. Zentrale Reformvorhaben zur Vereinfachung der Steuern stecken im Parlament fest. „Modi muss von seinem hohen Ross herabsteigen und mit anderen Parteien verhandeln“, fordert das Nachrichtenmagazin „The Week“.

Andere klagen über den erstarkenden Hindu-Nationalismus. Modi wird vorgeworfen, Hetzparolen gegen Minderheiten von Ministern und Parteimitgliedern zu dulden – vor allem, wenn Moslems angegriffen werden. Tatsächlich sagte er kein Wort, als ein Regierungsmitglied Nicht-Hindus als „Bastarde“ bezeichnete oder die Erziehungsministerin forderte, Schulen über Weihnachten offen zu halten. Hinter dem Schweigen verstecke sich aber kein radikaler Nationalismus, meint Samir Saran vom Thinktank ORF in Delhi. „Modi ist pragmatisch, er möchte Konflikte mit der radikalen Basis vermeiden und sich auf die Wirtschaft konzentrieren.“ Indien bewege sich zwar langsam – aber in die richtige Richtung: „Der Zug hat den Bahnhof verlassen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2016)

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