"Hinaufheiraten" ist passé - doch "gleich und gleich" spaltet die Gesellschaft

Heiraten und der Aspekt
Heiraten und der Aspekt "Arm und Reich".(c) Die Presse (Samo Rovan)
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Gebildete suchen sich zunehmend Partner aus der gleichen Schicht. Das vergrößert die Kluft zwischen Arm und Reich.

Wer hätte das gedacht: Weibliche Models heiraten am liebsten Lkw-Fahrer. Sie mögen offenbar Typen, die nach Schmieröl statt Eau de Toilette riechen. Den meisten Brummi-Chauffeuren dürfte das nicht bewusst sein. Sicher: Ihre Zahl ist größer als die der Models. Aber statt von den Schönheiten nur zu träumen, könnten sie ihr ungeahntes Potenzial offensiv nutzen. Stattdessen heiraten sie am häufigsten Sekretärinnen. Solche profunden Einsichten verdanken wir einer Spielerei von zwei Bloomberg-Redakteuren. Sie haben jüngst für die Website des Finanznachrichtendienstes eine große interaktive Grafik unter dem Titel „Who marries whom?“ gebastelt. Damit lässt sich das Paarungsverhalten von 3,5 Millionen US-Haushalten nach den Berufen der Beteiligten auswerten.

Man erfährt dabei nicht nur seichte Kuriositäten. Wer etwa als Mann oder Frau im mittleren Management arbeitet, heiratet vorzugsweise seinesgleichen. Auch Frauen an der Spitze von Unternehmen suchen Partner auf Augenhöhe. Nur männliche Firmenchefs sind noch häufig mit Frauen vermählt, die weit weniger verdienen als sie selbst: Lehrerinnen oder niedere Angestellte. Warum ticken die obersten Bosse anders? Plausibel wäre: Sie sind meist älter, heirateten oft vor langer Zeit – und folgten dabei einem traditionellen Muster, das immer mehr verblasst.

Das ist natürlich nur Spekulation. Doch in Wahrheit ist das Thema längst erforscht: Die Emanzipation der Frauen wirbelt auch den Heiratsmarkt durcheinander. Früher ehelichte der Arzt die Krankenschwester, die sich fortan in ihre Rolle als Hausfrau und Mutter fügte. Heute haben gleich viele Frauen einen Uni-Abschluss wie Männer. Sie verzichten nicht auf ein erfülltes Berufsleben. „Hinaufheiraten“ ist passé. Das typische Muster heißt heute „Assortative Paarung“. Der Volksmund kennt es griffiger: Gleich und gleich gesellt sich gern. Die Folge: Gebildete Gutverdiener leben mit gebildeten Gutverdienern zusammen. Wer weniger weiß und hat, muss sich im eigenen Umfeld umschauen. Die Schichten bleiben stärker unter sich. Der gesellschaftliche Fortschritt, auf den wir zu Recht stolz sind, kann also ungewollte Nebenwirkungen haben: dass er die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert und über die Generationen zementiert.

Ideologisch vermint. Tatsächlich gilt, bei allem Auf und Ab: In der Tendenz hat die Einkommensungleichheit seit den 1980er-Jahren in den meisten entwickelten Staaten zugenommen, stark in den USA. Viel weniger klar ist, woran es liegt. Über die Relevanz von Trends in der Partnerwahl lässt sich trefflich forschen und streiten. Das Themenfeld ist nämlich ideologisch vermint. Für die linke Seite ist es eine Provokation. Denn die „soziale Kälte“ von Politikern kann man anprangern, nicht aber die privatesten Entscheidungen der Bürger. Das fordert Widerstand heraus. Die liberale Gegenseite kann es sich hingegen bequem machen. In den Worten des deutschen Historikers Götz Aly: „In Wahrheit resultiert die zunehmende Spaltung der Gesellschaft aus Umständen, die wir als gut, ja, als glücklich bezeichnen müssen“ – nämlich langer Friede, Bildung und Frauenemanzipation. Aber wer hat recht?

Zunächst: Dass die Partnerwahl immer homogamer wird, wie die Soziologen sagen, erscheint sehr plausibel. Früher waren die jungen Herren auf der Uni fast unter sich. Um Mädchen kennenzulernen, suchten sie Lokale oder Tanzveranstaltungen auf, wo sich die Milieus durchmischten. Heute lernen sie die Frau ihrer Träume oft im Lehrsaal kennen. Viele Junge ziehen vom Land in die Stadt. Kleine Gemeinden waren früher soziale Schmelztiegel: Der Sohn des Richters spielte schon als Kind mit der Tochter des Fabrikarbeiters. In der Stadt trennen sich Klassen und Subkulturen viel stärker.

Auch wer zu Hause auf dem Land bleibt, hat heute durch soziale Netzwerke und Partnerbörsen im Internet einen größeren Radius für die Suche nach seiner besseren Hälfte. Je größer die Auswahl ist, desto eher findet man zu einem Menschen, der einem gleicht – in den Werten und Vorlieben, aber eben auch im Bildungsniveau und den finanziellen Möglichkeiten. Dagegen stand früher noch die patriarchale Genugtuung, ein Heimchen am Herd zu haben. Sie ist den meisten jungen Männern von heute gottlob fremd geworden.

Die intuitive Annahme von mehr Paaren mit gleichem Bildungsniveau hat die Forschung im Wesentlichen bestätigt – etwa schon 1997 für Europa und die USA unter der Ägide der deutschen Soziologen Hans-Peter Blossfeld und Andreas Timm. Viele Arbeiten ignorieren aber die immer wichtigeren Singles, worauf vor zwei Jahren Hans-Jürgen Andreß hinwies. Liest man die von ihm verwendeten deutschen Daten von 1985 bis 2011 richtig, dann zeigt sich: Die Zahl der hoch Gebildeten steigt deutlich, und wie erwartet fallen sie sich öfter in die Arme.Aber wie reagieren die anderen? Ein Deutungsversuch: Frauen mit mittlerer Bildung, die früher „hinaufgeheiratet“ hätten, können das nicht mehr. Menschen mit schlechter Bildung verlieren angesichts der leuchtenden Vorbilder öfter die Lust, unter sich zu bleiben (oder lassen sich scheiden). In beiden Schichten gibt es eine neue typische Ausweichreaktion: Mehr Menschen bleiben, wohl meist nicht gern, allein.

Arme Singles.
Andreß zielt aber auf die Ungleichheit ab. Nach seiner Berechnung hätten die geänderten Präferenzen die ungleiche Verteilung der Einkommen sogar leicht verringert. Das erscheint Blossfeld in einer Einschätzung für die „Presse am Sonntag“ sehr unplausibel – gerade wegen der Einbeziehung der Singles. Er verweist auf die sprichwörtliche alleinerziehende Mutter, die oft besonders von Armut bedroht ist. Allgemein gilt: Ein-Personen-Haushalte können keine Mittel bündeln und Ausgaben teilen. Nehmen sie zu, sollte das ein zusätzlicher Treiber der Ungleichheit sein.

Das betont auch die OECD in ihrer Überblicksstudie. Insgesamt macht sie die geänderten Partner- und Familienstrukturen aber nur zu einem „kleinen Teil“ verantwortlich für die steigende Ungleichheit. Das ist seltsam, weil dabei auch jene Arbeit erwähnt wird, die für Amerika das Gegenteil behauptet – und damit viel Aufsehen erregt hat: „Marry Your Like“ unter Leitung von Jeremy Greenwood.

Lotterie statt Amor.
Der Ökonom arbeitet mit den Daten Hunderttausender US-Haushalte und dem Gini-Koeffizienten. Diese übliche Maßzahl für Ungleichheit hat eine Bandbreite zwischen null (jeder Haushalt hat das gleiche Einkommen) und eins (ein Haushalt hat alles, alle anderen nichts). In den seligen Zeiten von Petticoat und Glockenhose lag sie für Amerika noch bei 0,33. Bis zum Jahr 2005 stieg sie dramatisch an, auf 0,43 (zum Vergleich: Österreich verharrt heute noch bei 0,28). Nun spielen die Autoren Lotterie: Wie wäre Gini ausgefallen, wenn nicht Amors Pfeil, sondern der statistische Zufall die Amerikaner zusammengeführt hätte? Siehe da: Für 1960 ändert das gar nichts. Mit anderen Worten: Die bewusste Partnerwahl durchmischte die sozialen Klassen damals ebenso gut wie der Zufall. Später sind die Besserverdiener dem Rest davon galoppiert: 1960 lag das Haushaltseinkommen zweier Akademiker um 76 Prozent über dem Schnitt, 2005 schon um 119 Prozent.

Doch nun die zweite Überraschung: Mischt man für 2005 wieder alle Paare nach dem Zufallsprinzip durcheinander, fällt Gini auf 0,34 zurück – also fast ganz auf das Niveau der guten alten Zeit. Was heißt das? Auch wenn die Einzelpersonen ungleicher verdienen, müssten die Haushalte das theoretisch nicht. Nämlich dann, wenn öfter ein gut bezahlter Mann eine schlecht bezahlte Frau heiratet – und umgekehrt. Stattdessen gilt mehr denn je: „Gleich und gleich gesellt sich gern“. Und das erweist sich als sehr relevante Ursache für wachsende Ungleichheit. Freilich unter einer Voraussetzung: dass mehr verheiratete Frauen arbeiten – was auch der Fall ist.

Wie zu erwarten, ist auch dieses Ergebnis nicht unwidersprochen geblieben. Woran es hakt: Der große Umbruch im US-Heiratsverhalten passierte schon am Anfang des betrachteten Zeitraums. Die Einkommen gehen aber erst seit den 1980er-Jahren so stark auseinander. Ist die Conclusio des charmanten Lotteriespiels damit widerlegt? Oder wirkt der Einkommenseffekt zeitverschoben? Auf dem Stand unseres Wissens ist es wohl besser, die Frage nach den ökonomischen Folgen des geänderten Heiratsverhaltens weise lächelnd in der Schwebe zu halten. So wie es auch vorerst ein kleines Rätsel bleibt, was die Models an diesen Truck-Drivern so toll finden.

Wissen

Warum können Trends bei der Partnerwahl die Ungleichverteilung der Einkommen von Haushalten erhöhen?

Gedankenexperiment. Angenommen, es gäbe nur zwei gleich große Gruppen: Gebildete verdienen 3000 Euro, Ungebildete 1000. Wenn Gebildete nur mit Ungebildeten zusammen leben, hat jeder Haushalt 4000 Euro. Alle sind gleich.

Verpartnern sich aber beide Gruppen nur untereinander, geht die Schere voll auf: Arme Haushalte verdienen nur ein Drittel der reichen (2000 zu 6000 Euro).

Das funktioniert aber nur, wenn beide arbeiten, auch noch in der Ehe. Sonst entscheidet nur die Spreizung im Gehalt der Alleinverdiener über die Ungleichheit.

Die echte Welt ist natürlich anders. Wie stark der Effekt wirklich ist, ist empirisch zu erforschen – und hier lauern viele Fallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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