Chinas Überkapazitäten von A wie Aluminium bis Z wie Zement

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TAIWAN SHIPPING KAOHSIUNG HABOUR(c) APA/EPA/DAVID CHANG (DAVID CHANG)
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Chinas Schwerindustrie sorgt weltweit für dramatisch fallende Grundstoffpreise. Die Europäische Handelskammer schlägt Alarm.

Peking. Viele Beobachter haben sich schon gewundert: Chinas Frachtvolumen ist 2015 im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent gefallen. Der Energieverbrauch der Chinesen ist gerade einmal um 0,9 Prozent gestiegen. Die Bauwirtschaft durchläuft eine Krise. Trotzdem wies die Industrie der Volksrepublik 2015 ein Wachstum vom mehr als sieben Prozent auf. Die Auflösung des Rätsels: Es sind die gewaltigen Überkapazitäten, die Chinas Industrie trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage dieses satte Plus beschert haben.

Einer am Montag vorgelegten Studie der Europäischen Handelskammer in Peking zufolge konnte die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt in den vergangenen Jahren vor allem nur deswegen zwischen sieben und neun Prozent wachsen, weil viele Unternehmen ungeachtet der fallenden Nachfrage weiter in neue Maschinen und Hochöfen investiert und das entsprechende Personal beschäftigt haben. Die meisten dieser Unternehmen sind in Staatsbesitz.

Die Überkapazitäten der chinesischen Zementindustrie legten zwischen 2008 und 2014 von 450 Millionen auf 850 Millionen Tonnen zu, die der Ölraffinerien haben sich im gleichen Zeitraum mehr als verdreifacht. Auch auf dem Glas-, Chemie-, Papier- und Aluminiumsektor war die Produktion viel höher als die Nachfrage. Für international besonders viel Streit sorgen die gewaltigen Überkapazitäten der chinesischen Stahlindustrie: Sie lagen 2014 bei 327 Millionen Tonnen.

Anti-Dumping-Zölle gegen China

Weil die chinesischen Hersteller ihren Stahl nicht auf den heimischen Märkten loswerden, überfluten sie die Weltmärkte – zu Preisen, mit denen die Konkurrenz nicht mithalten kann. Zum Schutz der eigenen Stahlindustrie hat die EU auf bestimmte Stahlsorten aus China bereits Anti-Dumping-Zölle beschlossen. Das beruhigt die europäischen Stahlarbeiter aber nur wenig: Sie sind vergangene Woche in Brüssel zu Tausenden auf die Straße gegangen, um gegen die billigen Stahlimporte aus China zu demonstrieren. Es war Europas erste Großdemonstration, die sich explizit gegen die chinesische Wirtschaftspolitik wandte.

EU-Handelskammerpräsident Jörg Wuttke sieht die Gründe von Chinas Überkapazitäten als systembedingt an. Als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise 2008 hatte die chinesische Führung ein gigantisches Konjunkturprogramm aufgelegt und mit dem Bau von Flughäfen, Hochgeschwindigkeitsstrecken und Hochhausstädten weitere Wachstumsanreize geschaffen, die sich nicht mehr mit dem tatsächlichen Bedarf deckten. „Dieser Protektionismus muss aufhören“, forderte Wuttke.

China will Kohlebergwerke schließen

Der chinesischen Führung sind die Probleme durchaus bewusst. Sie hat mehrfach zugegeben, dass das bisherige Industriemodell nicht länger tragfähig sei und versprochen, die staatlichen Anreize zu stoppen. Konkret will Peking noch in diesem Jahr mehr als 1000 Kohlebergwerke mit einem Fördervolumen von 60 Millionen Tonnen schließen lassen. Innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre soll die Produktion um insgesamt 500 Millionen Tonnen gedrosselt werden. Die Produktion von Stahl soll um 150 Millionen Tonnen sinken.

Doch ganz offensichtlich ist die chinesische Regierung nicht imstande, ihren eigenen Reformversprechen nachzukommen. EU-Kammerpräsident Wuttke verweist darauf, dass die Zentralregierung schon vor Jahren zugesagt hat, gegen die steigenden Überkapazitäten vorgehen zu wollen. 2009 hat die EU-Handelskammer schon einmal eine Studie mit ähnlichen Ergebnissen vorgelegt.

Das Problem seien jedoch die chinesischen Lokalregierungen. Aus Furcht vor Massenkündigungen und sozialen Verwerfungen würden sie sich weigern, die beschlossenen Maßnahmen auch umzusetzen. Und in der Tat: Chinesische Medien berichten, dass einige Provinzkader den Staatsunternehmen sogar ausdrücklich verboten haben, Leute zu entlassen. Damit diese Unternehmen den Betrieb weiter aufrechterhalten, werden die Staatsunternehmen stattdessen mit immer weiteren Krediten ausgestattet.

Wuttke glaubt, dass sich die Situation wegen des wirtschaftlichen Abschwungs in China in den kommenden Monaten noch verschärfen werde. Das jedoch sei verheerend, warnt er: „Je länger China wartet, desto größer wird das Problem.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2016)

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