Ein Heimdebakel für Berniecare

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US-VOTE-DEMOCRATS-SANDERSAPA/AFP/NICHOLAS KAMM
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Der Präsidentenkandidat Bernie Sanders fordert eine staatliche Krankenversicherung. Genau so eine scheiterte in seinem Heimatstaat Vermont.

Am letzten Dienstag vor Weihnachten 2014 hatte Peter Shumlin, der demokratische Gouverneur des US-Teilstaates Vermont, eine betrübliche Nachricht zu verkünden: Nach vier Jahren Planung sei er zu dem Schluss gekommen, dass sich Vermont keine einheitliche staatliche Krankenversicherung für alle Bürger leisten könne. „Nach meiner Beurteilung wären die potenzielle wirtschaftliche Zerrüttung und die Risken für Kleinunternehmen, arbeitende Familien und die Wirtschaft des Staates zu groß“, sagte Shumlin bei eine Pressekonferenz.

Eine kritische Analyse dieses Green Mountain Care genannten Krankenversicherungssystems nach kanadischem und europäischem Zuschnitt hatte ergeben, dass seine Kosten im ersten Jahr seines Bestehens, nämlich 2017, eine Erhöhung der gesamten Steuereinnahmen von Vermont um 151 Prozent erfordert hätte. Der Staat rechnet damit, in besagtem Jahr 1,7 Milliarden Dollar (1,54 Milliarden Euro) an Steuern einzunehmen. Green Mountain Care hätte aber 2,6 Milliarden Dollar gekostet. Konkret hätte man einen Arbeitgeberbeitrag von 11,5 Prozent des Gehalts sowie eine progressive, bis zu 9,5-prozentige Einkommensteuer einführen müssen – zusätzlich zu jener, die die Bürger von Vermont schon jetzt zahlen (und zusätzlich zu jener des Bundes).

Für diese enormen Kostensteigerungen waren unrealistische Hoffnungen auf Einsparungen bei Spitälern, Ärzten und Medikamenteneinkauf sowie zu großzügige Leistungen verantwortlich. „Das hätte zu einer enormen Störung der Einkommensverteilung geführt“, sagt der Gesundheitsökonom Kenneth E. Thorpe von der Emory University in Atlanta, Georgia, zur „Presse am Sonntag“. Er hat damals versucht, Gouverneur Shumlin bei der Rettung der Gesundheitsreform zu helfen. „Es war am Ende politisch irrelevant, dass der Plan die Gesamtkosten senkt, weil es nur mehr darum ging, wer finanziell verliert und wer gewinnt.“

Naive Sparhoffnungen.
Das Versicherungsdebakel von Vermont ist mehr als ein Jahr später ein politisch hochaktuelles Thema. Denn es legt die Schwächen der zentralen Forderung von Bernie Sanders offen, des sich selbst als Sozialisten bezeichnenden Senators aus Vermont, der Hillary Clinton im Ringen um die demokratische Präsidentschaftsnominierung mit einem linkspopulistischen Programm harte Konkurrenz macht.

„Unter Bernies Plan würde die typische Mittelschichtsfamilie 5000 Dollar pro Jahr sparen“, verheißt Sanders' Wahlkampfwebsite. Die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung würde den teuren Fleckenteppich aus den staatlichen Programmen Medicaid (für Arme) und Medicare (für Pensionisten), privaten Eigenversicherungen und den Krankenversicherungen, die rund 150 Millionen Amerikaner über ihre Arbeitgeber erhalten, abschaffen. Sanders gibt an, dass sein System jährlich 1,38 Billionen Dollar kosten würde. Doch Thorpe hält diese Zahlen für unseriös. Ihm zufolge würde Berniecare jährlich 2,7 Billionen Dollar kosten, also fast doppelt so viel, wie von Sanders behauptet.

Das liegt in erster Linie daran, dass Sanders Plan die Abschaffung so gut wie aller Selbstbehalte vorsieht. Das, so sieht es sein Plan vor, würde zu Kostensteigerungen von drei Prozent führen. Thorpe hält dem entgegen, dass die Abschaffung der Selbstbehalte für Privatversicherte eine Ausgabensenkung um 22 Prozent bedeuten würde. Dieser Fehlbetrag müsste also von allen Steuerzahlern ausgeglichen werden.

Problematisch ist auch Sanders' Hoffnung auf erhöhte Einnahmen, um sein System zu finanzieren. Er erwartet unter anderem, dass die US-Teilstaaten jährlich um zwei Prozentpunkte mehr zur neuen Krankenversicherung beitragen als ihre Kosten steigen.

Bemerkenswert ist weiters seine Behauptung, die Kosten für Arzneimittel jährlich um 310 Milliarden Dollar senken zu können. Medicare und die privaten Versicherungskonzerne geben derzeit pro Jahr rund 350 Milliarden Dollar für Medikamente aus. Auf Nachfrage senkte die Sanders-Kampagne das erhoffte Einsparungspotenzial auf 240 Milliarden Dollar – doch zieht man Generika ab, die bereits stark verbilligt sind, bleiben 241 Milliarden Dollar an Ausgaben für Markenmedikamente. Anders gesagt: Sanders verspricht, die gesamten derzeitigen Ausgaben für Markenmedikamente einzusparen.

Politische Totgeburt.
Thorpe kommt zu einem ähnlichen Schluss wie im Fall Vermonts: Um Berniecare zu finanzieren, wären zusätzliche Steuereinnahmen im Ausmaß von rund 20 Prozent der durchschnittlichen Gehaltssumme nötig. „71 Prozent aller Haushalte würden mehr ausgeben“, sagt er.

Davon abgesehen sei Berniecare politisch auch unmöglich umzusetzen: „Ich bin ein wenig überrascht über diesen Vorschlag. Im Jahr 2009 hatten wir einen neuen, enorm populären Präsidenten, und die Demokraten kontrollierten beide Kammern des Kongresses. Trotzdem konnte man nicht einmal eine Handvoll Kongressmitglieder finden, die sich zu einer allgemeinen staatlichen Krankenversicherung bekannten. Das ist einfach nicht realistisch. Vor allem im heutigen politischen Klima würde das nie durchgehen.“

Auf einen Blick

Bernie Sanders
verspricht eine allgemeine Krankenversicherung, sollte er heuer im November zum US-Präsidenten gewählt werden.

Allerdings würde sie fast doppelt so viel kosten, wie er behauptet, warnen Ökonomen. Sanders unterschätze nämlich Kostensteigerungen und überschätze Sparpotenziale. Reuters

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2016)

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