Fröhliche Armut im Disneyland

File photo of fireworks and doves being released during finale at Disneyland´s 50th anniversary celebration
File photo of fireworks and doves being released during finale at Disneyland´s 50th anniversary celebration(c) REUTERS (FRED PROUSER)
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US-Soziologinnen rümpfen ihre Nase über „unrealistische“ Kinderfilme.

Studien gibt es viele, aber diese hat uns noch gefehlt: Drei Soziologinnen von der Duke University in North Carolina haben herausgefunden, warum die Amerikaner noch immer nicht gegen ihre reiche Oberschicht rebellieren. Dahinter stecken nicht, wie bislang angenommen, Politiker oder Ökonomen, sondern durchaus unübliche Verdächtige. Sie hören auf Namen wie Schneewittchen, Mary Poppins oder Aladin. Es geht auch um Meerjungfrauen und Könige der Löwen. In einem Fall führt die Spur sogar nach Österreich, wo die Übeltäter im „Sound of Music“ schwelgen. Ihnen allen gemein ist, dass sie in erschreckend erfolgreichen, jugendfreien Filmen eine „falsche Botschaft“ über soziale Ungleichheit verbreiten und damit Kinder zu willigen Opfern des Kapitalismus machen.

Für diesen wissenschaftlichen Durchbruch hat es genügt, dass sich die Forscherinnen 32 Walt-Disney-Blockbuster reingezogen haben. Die erste sensationelle Entdeckung: In über 56 Prozent dieser Machwerke gehören die Hauptfiguren der Oberschicht oder der oberen Mittelschicht an! (Zu Letzterer ist auch Santa Claus zu zählen.) Mit anderen Worten: Die schuftende Arbeiterklasse ist „signifikant unterrepräsentiert“. Die Nöte der Armen werden „heruntergespielt“ und damit „Klassenstrukturen legitimiert und verfestigt“.

Beispiele gefällig? Die sieben Zwerge marschieren fröhlich singend in ihre Mine. Schneewittchen ist vorzuwerfen, dass sie ihre kleinwüchsigen Mitbewohner als „romantic partners“ gar nicht in Betracht zieht und sich schon nach dem ersten Treffen einem reichen Prinzen an die Brust wirft. Bert aus Mary Poppins trällert völlig unverantwortlich, wie glücklich er doch als Rauchfangkehrer sei.

Bei aller Brillanz der Analyse sind ein paar kleinere Widersprüche nicht zu vermeiden. So mokieren sich die Autorinnen über die Löwen Simba und Nala, die sich vermählen, weil sie sich als Angehörige der gleichen Klasse schon jahrelang kennen. Diese Form der „Stereotypisierung“ limitiere die Chance für Arme, nach oben zu heiraten. Andererseits entrüstet sich das Paper mit dem Titel „Benign Inequality“ darüber, dass in über 40 Prozent der Filme die Liebe Klassengegensätze überwindet – als ob das so einfach wäre!

Auf jeden Fall wäre die bahnbrechende Arbeit auf Europa zu erweitern. Schon denkbar, dass ein leicht hypertropher Sozialstaat samt üppiger Steuerquote ebenfalls mediale Wurzeln hat. Hat man schon analysiert, dass in deutschsprachigen Fernsehkrimis Unternehmer grundsätzlich ekelhafte Schurken sind? An die Fernbedienung, ihr Soziologen!

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2016)

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