Alan Greenspan: Der Maestro spricht in Rätseln

Alan Greenspan
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Ein amerikanisches Leben: vom Rebellen zum wichtigsten Notenbanker des 20. Jahrhunderts. Alan Greenspan wird heute 90 Jahre alt.

Am 1. Februar 2006, einen Tag nach dem Ende einer 19-jährigen Amtszeit an der Spitze der US-Zentralbank Federal Reserve, legte sich Alan Greenspan in die Badewanne und begann, seine Memoiren zu schreiben. Wie er später verriet, war das eine alte Angewohnheit. Seit einem Unfall im Jahr 1971 litt Greenspan unter Rückenschmerzen, die in der Wanne gelindert wurden. Tatsächlich dürften einige der wichtigsten geldpolitischen Entscheidungen des 20. Jahrhunderts von einem Mann im Schaumbad gefällt worden sein. Dieser Mann feiert am heutigen Sonntag seinen 90. Geburtstag.

„Bis heute habe ich meine besten Ideen in der Badewanne“, schrieb Greenspan in seinem Buch „The Age of Turbulence“. „Meine Assistenten gewöhnten sich schnell daran, Texte abzutippen, die ich in der Wanne auf feuchte, gelbe Notizblöcke gekritzelt hatte – eine Aufgabe, die stark vereinfacht wurde, als wir wasserfeste Kugelschreiber entdeckten. In meiner Badewanne fühle ich mich wie Archimedes, der über die Welt nachdenkt.“

Der altgriechische Philosoph hatte seine größte Stunde, als er entdeckte, dass das Wasser in seiner Wanne durch das Volumen seines Körpers anstieg. „Heureka!“, soll Archimedes damals ausgerufen haben. Im Fall Greenspans ist es ein bisschen schwieriger, einen entscheidenden Moment in seinem Leben festzumachen.

Vielleicht war es eine zweite Begebenheit im Jahr 1971. Am 15. August dieses Jahres ließ der damalige US-Präsident das „Goldfenster“ schließen, weil die USA kein Gold mehr für Dollars abgeben wollten. Seitdem verwendet die ganze Welt ungedecktes Papiergeld – zum ersten Mal in der Geschichte. Dieses neue Geldsystem sollte Alan Greenspans Leben prägen, aber ein Fan war der Sohn eines New Yorker Aktienhändlers nie.


Gold. Fünf Jahre zuvor schrieb Greenspan einen Artikel für das Buch „Kapitalismus: Das unbekannte Ideal“ der libertären Philosophin Ayn Rand, die massiven Einfluss auf die geistige Entwicklung des jungen Ökonomen hatte. In „Gold und wirtschaftliche Freiheit“ argumentierte Greenspan leidenschaftlich für den Goldstandard, also die Bindung der Geldmenge an die Goldreserven, und gegen die Schaffung beliebiger Mengen Papiergeld durch eine Zentralbank wie die Federal Reserve.

„Ohne Goldstandard gibt es keine Möglichkeit, die Ersparnisse vor der Enteignung durch Inflation zu schützen“, schrieb Greenspan. Hinter den Attacken auf den Goldstandard vermutete er die Vertreter eines wachsenden Wohlfahrtsstaats in den USA, der nur durch Schulden zu finanzieren und deswegen auf Dauer unhaltbar sei.

19 Jahre nachdem er diese Zeilen geschrieben hatte, saß der erklärte Gegner der Federal Reserve im Chefsessel ebendieser Zentralbank – und blieb fast 20 Jahre lang. Es ist ein Widerspruch, selbst wenn ihn mit Ronald Reagan der wahrscheinlich liberalste US-Präsident des 20. Jahrhunderts nominieren sollte. Aus Greenspan, dem Libertären, wurde Greenspan, der „Maestro“. Er war der erste Wirtschaftssuperstar in den Medien, sein Wort wurde auf den Märkten zum Gesetz – auch wenn kaum jemand wirklich verstand, was er eigentlich sagen wollte. „Der Maestro spricht in Rätseln“, hieß es.

Greenspan fand das witzig. „Bei der Federal Reserve habe ich eine neue Sprache gelernt, den sogenannten Fed-Sprech. Man lernt relativ rasch, nur noch sehr unverständlich vor sich hinzumurmeln“, sagte er 2010. Seine wundersame Wandlung vom Verteidiger des Goldstandards zum obersten Gelddrucker der USA erklärte er im Nachhinein so: „Kompromisse sind der Kern einer demokratischen Gesellschaft. Individuen müssen Kompromisse eingehen bei der Frage, wie das Geldsystem zu organisieren ist – mich eingeschlossen.“


Kritik. Wie Greenspan das Geldsystem organisierte? Sehr locker. In Erinnerung sind heute vor allem seine Zinssenkungen geblieben, etwa nach den Terroranschlägen im September 2001, als die Greenspan-Fed den Leitzins auf ein Prozent drückte. Auch bei der bereits zuvor geplatzten Dotcom-Blase hätte Greenspan viel zu spät reagiert und sie einfach platzen lassen, kritisierte damals der Ökonom Paul Krugman – selbst nicht als Verfechter einer Hartwährungspolitik bekannt. Oft wird Greenspans lockere Geldpolitik auch als Ursache der Subprime-Krise im US-Immobilienmarkt gesehen, die 2008 zum Lehman-Crash geführt hat.

Greenspan ist auf solche Fragen vorbereitet – und besinnt sich auf seine Vergangenheit. „Wir haben 2004 versucht, den Zins zu heben, und sind gescheitert“, sagte er in einem TV-Interview. Der Grund? Die Zentralbank könne nur die kurzfristigen Zinsen beeinflussen, die langfristigen würden aber auf dem Markt entstehen. „Wozu brauchen wir dann überhaupt eine Zentralbank?“, fragte der Reporter. Darauf Greenspan: „Gute Frage. Es gibt viele, die glauben, dass wie von 1870 bis 1914 mit einem Goldstandard auch sehr gut gefahren sind – ich gehöre da dazu.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2016)

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