Hans-Werner Sinn: Abgang eines Provokateurs, der oft richtig lag

Im Ökonomen-Ranking der „FAZ“ belegte Hans-Werner Sinn in den vergangenen Jahren regelmäßig Platz eins.
Im Ökonomen-Ranking der „FAZ“ belegte Hans-Werner Sinn in den vergangenen Jahren regelmäßig Platz eins.(c) REUTERS (MICHAELA REHLE)
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Nach 17 Jahren geht Ifo-Chef Hans-Werner Sinn in Pension. Er ist einer der einflussreichsten, aber auch kontroversiellsten Ökonomen.

Wien. Die Krisen sollen nun ohne ihn stattfinden. „Es gibt noch ein anderes Leben“: So freute sich Hans-Werner Sinn im „Presse“-Interview 2015 auf die Pension. Heute tritt der politisch wirkungsmächtigste deutsche Ökonom von der Bühne ab, übergibt die Leitung des Münchner Ifo-Instituts, dem er seit 1999 zu neuem Glanz verholfen hat, seinem Nachfolger, Clemens Fuest. Auch wenn er als Buchautor präsent bleiben mag, müssen Journalisten auf einen verlässlichen Lieferanten knalliger Schlagzeilen verzichten.

Von der Wiedervereinigung bis zur Flüchtlingskrise: Der Mahner ging keinem Streit aus dem Weg. Politiker schätzten ihn als Berater und verdammten ihn als „Professor Unsinn“. Wer in dem 68-Jährigen aber nur den „Boulevardprofessor“ sieht, der mit apokalyptischen Szenarien Stimmung macht, übersieht zugleich, dass Sinn v. a. in frühen Jahren seiner Disziplin wichtige Impulse gegeben hat. Und dass er bei so manchen Prophezeiungen recht behielt. Wo Sinn ins Schwarze traf und wo er übers Ziel hinausschoss.

Agenda 2010

In den ersten Jahren als Ifo-Chef gab es für Sinn nur ein Thema: die notwendigen Reformen, damit Deutschland nicht länger der „kranke Mann Europas“ ist. Rund um die Jahrtausendwende haderte die heutige Wirtschaftsmacht Europas mit hoher Arbeitslosigkeit und fehlender Wettbewerbsfähigkeit. Grund dafür seien „hohe Lohnkosten im Bereich der einfachen Arbeit“, die es unrentabel machen würden, Arbeitskräfte einzustellen, zitierte „Die Presse“ Sinn erstmals im Februar 1999. Würde dies geändert, sei „in 15 Jahren Vollbeschäftigung möglich“, so Sinn damals.

Er sollte recht behalten. Die Agenda 2010 der Regierung Schröder, durch die etwa ein staatlich gestützter Niedriglohnbereich eingeführt wurde, legte den Grundstein für die heutige Stärke Deutschlands samt geringster Arbeitslosenquote in der EU. Sinn wirkte an der Reform zwar nicht aktiv mit, bereitete jedoch den Boden dafür mit auf. Hart geht er daher auch mit Entscheidungen der Regierung Merkel wie Rente mit 63 ins Gericht. „Wir Deutschen verfrühstücken gerade unsere Reform der Schröder-Zeit“, sagte Sinn im Vorjahr zur „Presse“.

Finanzkrise

Auch im Vorfeld der Finanzkrise deutete Sinn die vorhanden Zeichen richtig. So schrieb er ein halbes Jahr vor dem Fall von Lehman Brothers in einem Gastkommentar für diese Zeitung: „Seit dem Platzen der Blase auf dem Aktienmarkt 2001 ist der WES-Indikator des Ifo-Instituts nicht mehr so stark zurückgegangen wie zuletzt. In den USA liegt er sogar unter dem Wert, den er nach dem 11. September 2001 erreichte.“ Und zu der in Europa verbreiteten Meinung, die Immobilienkrise sei ein amerikanisches Problem: „Überall auf der Welt begreifen Banken, dass die Schulden, mit denen die Amerikaner ihren Konsumboom finanzierten, nicht notwendigerweise zurückgezahlt werden.“ Die global verkauften US-Pfandbriefe seien vielfach nicht besser als ein Lotterielos. Er sollte recht behalten.

Eurokrise

International große Bekanntheit erlangte Sinn aber erst durch die Eurokrise, in der er zu einem der wortgewaltigsten Verfechter der Austeritätspolitik wurde. Vor allem die Hilfspakete für Griechenland kritisierte er von Anfang an scharf. Schon im Mai 2010 nannte er denn Euro-Rettungsschirm ein „unkalkulierbares Abenteuer“. Das Paket helfe vor allem den Banken, die in Griechenland investiert hätten. Statt der Rettung solle es die Möglichkeit einer Insolvenz von Staaten geben.

Auch hier lag er mit einem Teil der Kritik richtig, wie erst im Vorjahr die neu aufgeflammte Griechenland-Krise samt drittem Hilfspaket schmerzlich zeigte. Allerdings wandelte sich Sinn im Lauf der Diskussion. Die zunehmende mediale Aufmerksamkeit animierte ihn immer öfter zu populistischen – mitunter unseriösen – Aussprüchen. Er wurde zu einem Apologeten des Untergangs. So meinte er 2012, dass sich auch Spanien im Euro nie werde entschulden können. „Da kommt noch etwas auf uns zu“, so Sinn. Im Jahr darauf konnten die Iberer dank der Reformen jedoch den Rettungsschirm wieder verlassen.

Bankenunion

So viel Emotion gibt es selten in der trockenen Ökonomie: 170 Volkswirte versuchten 2012 mit einem Appell an die „lieben Mitbürger“, die EU-Bankenunion zu verhindern. Initiator der Aktion: Hans-Werner Sinn. Vor „riesigen Verlusten“ südeuropäischer Banken wurde da gewarnt, für die „hart arbeitende Steuerzahler“ im „soliden“ Deutschland bluten müssten. Eine Gegengruppe von linken wie liberalen Kollegen schämte sich darauf öffentlich für diese „Stammtischökonomie“. Finanzminister Schäuble nannte „die Horrormeldungen“ empörend und unverantwortlich.

Aber wie sieht es sachlich damit aus? Die gemeinsame Aufsicht der Institute durch die EZB hat sich, entgegen der Warnung, bisher bewährt. Der Zugang zu Geldern aus dem Rettungsschirm ist erst möglich, wenn Eigner und Anleihegläubiger der Banken schon „geblutet“ haben. Das Gros der Verbindlichkeiten der Banken aber bilden die Spareinlagen. Die gemeinsame Einlagensicherung ist auf die lange Bank geschoben. Vielleicht hat der Protest unter Sinns Kommando zur Sensibilisierung für Gefahren beigetragen. Aber auch der Preis des zerschlagenen Porzellans war hoch.

Immigration

Wer auch beim Thema Migration an Sinns Lippen hängt, sei an einen Gastkommentar aus 2006 erinnert. Da warnte er düster vor Armutsmigration aus Osteuropa, die zur Erosion der Sozialstaaten führe. Die EU werde mit einheitlichen Mindestlöhnen entgegenhalten und „damit große Teile des Kontinents in die Arbeitslosigkeit drängen“. Nichts davon ist eingetreten. Doch seiner Hauptforderung bleibt Sinn treu: Sozialleistungen für EU-Migranten soll deren Heimatland bezahlen.

Weil das bei Flüchtlingen von außerhalb Europa unmöglich ist, bleiben die Vorschläge hier moderat. In den Chor der Kritiker von Merkels Politik der offenen Grenzen stimmte Sinn nur ein. Aufhorchen ließ aber seine These, Migranten brächten dem Staat Verluste. Freilich erklärte er in dem umstrittenen Artikel auch, Zuwanderung sei für die gesamte Volkswirtschaft in der Regel ein Gewinn. Aber er musste wohl wissen, welcher Teil der Botschaft zur Schlagzeile taugt – und wo diese Saat aufgeht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2016)

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