Warum Europas Wirtschaft wieder robuster dasteht

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Die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenstaaten ist deutlich gestiegen, die Ungleichgewichte nehmen ab. Das macht die Eurozone weniger anfällig für Krisen.

Wien. Entwarnung? Auch wenn die Wirtschaft der Eurozone kräftiger wächst und die Zahl der Arbeitslosen vielerorts zurückgeht: Die Skepsis bleibt, dass die Erholung nicht von Dauer ist. Wachsen nicht auch die Risken ringsum, von der Schwäche der Schwellenländer bis zum drohenden Brexit? Bei aller berechtigten Sorge: Die Eurozone ist stabiler geworden, und das macht sie weniger anfällig für neue Krisen. Der Gradmesser dafür sind die Salden der Leistungsbilanzen – und das heißt: die Wettbewerbsfähigkeit und die ökonomische Balance zwischen den Staaten.
Zur Erinnerung die Ausgangslage vor der Krise: Deutschland hatte einen gewaltigen Exportüberschuss (siehe Grafik). Zwei Drittel davon erzielte es im Handel mit anderen Euroländern, vor allem in Südeuropa. Im Gegenzug brachten die Deutschen Kapital an die Peripherie, um die negativen Salden zu finanzieren. Das ist, wohlgemerkt, nicht grundsätzlich ein Problem: Die Amerikaner leben seit Jahrzehnten mit Leistungsbilanzdefiziten, bei den Briten ist es ähnlich.
Mächtige Volkswirtschaften mit lebhaftem Binnenkonsum können sich das leisten – unter zwei Bedingungen: Sie sollten eine eigene Währung haben, deren Abwertung akute Schieflagen mildern kann. Vor allem aber müssen sie auf Dauer attraktiv für ausländische Investoren sein. Das scheint in den USA als größter Volkswirtschaft fast gottgegeben. In Großbritannien ist es – Stichwort Brexit – schon nicht mehr sicher. Und in Südeuropa stand das System von Anfang an auf tönernen Füßen. Die Löhne stiegen zu rasch, die Wettbewerbsfähigkeit litt. Das Kapital von außen floss in wenig produktive Sektoren wie den Bau, trieb die Inflation, blähte Blasen auf. Sie platzten in der Finanzkrise, dem heftigen Schock von außen.

Weniger deutsche Dominanz

Und heute? Eines hat sich gar nicht geändert: Deutschland erzielt sogar noch höhere Überschüsse im Welthandel als vor der Krise. Aber – und das macht den großen Unterschied – nicht mehr auf Kosten der schwachen Länder der Eurozone. Nur noch weniger als 30 Prozent betrifft den Austausch innerhalb der Eurozone. In Spanien, Italien, Portugal und Irland haben sich scheinbar chronische Defizite in solide Überschüsse verwandelt, sogar Griechenland ist nahe dran. Damit erzielt auch die Eurozone als Ganzes mit dem Rest der Welt Überschüsse (früher war die Bilanz im Schnitt ausgeglichen). Die Krisenländer haben sich die verlorene Wettbewerbsfähigkeit zurückerobert.

(c) Die Presse


Auch um den schmerzhaften Preis von sinkenden Löhnen, einer „inneren Abwertung“ im Korsett der gemeinsamen Währung. Was dazu führt, dass sie im Pro-Kopf-Einkommen das Niveau von vor der Krise noch nicht wieder erreicht haben. Zum Teil verbesserte sich ihre Leistungsbilanz durch die Krise selbst: Wenn sich die Menschen weniger leisten können, muss die Volkswirtschaft weniger importieren. Aber der größere Teil kam sehr wohl aus steigenden Exporten.
Das attraktivere Angebot hat auch mit deutlich höherer Produktivität zu tun. Zum Teil ging es dabei sicherlich um einen einmaligen Sprung, den ebenfalls die Krise mit sich brachte: Die unrentabelsten Betriebe sperrten zu, die schwächsten Mitarbeiter werden gekündigt. Aber die Unkenrufe werden nun leiser. Denn es zeigt sich: Das robustere Fundament ist nachhaltig.
Die Überschüsse in der Leistungsbilanz wachsen weiter, auch wenn die Spanier und Italiener wieder selbst mehr konsumieren können und deshalb mehr importieren. Es sind positive, sich selbst verstärkende Effekte, die den Karren wieder flottgemacht haben. Das alles bietet keine Garantie für die Zukunft. Fest steht nur eines: Für künftige Krisen ist die Eurozone nun besser gerüstet. Sie hat zumindest mehr Chancen, sich zu bewähren – komme von außen, was da wolle.

Spanien gilt fast schon als Modellfall eines gelungenen Neustarts. Wachstum, Beschäftigung, Investitionen: Alles läuft seit Jahren wieder in die richtige Richtung. Dabei darf nicht vergessen werden: Hier war der Einbruch durch die geplatzte Immobilienblase auch besonders stark. Das Vorkrisenniveau ist schon deshalb nur sehr langsam wieder einzuholen, weil es schlicht nicht nachhaltig war. Kontinuierlich, aber nur zäh geht auch die Arbeitslosenquote zurück: von 26 Prozent am Höhepunkt der Krise auf nun 20 Prozent.
Spanien profitiert auch davon, dass es im Baskenland und in Katalonien über eine gesunde industrielle Basis verfügt. Die Politik hat ebenfalls ihren Beitrag geleistet. Ein flexiblerer Arbeitsmarkt konnte den Unternehmen die Scheu vor Neueinstellungen ein wenig nehmen. Weniger vorbildhaft ist die Budgetdisziplin: Seit fünf Jahren bricht die Regierung ihre Zusagen an Brüssel – vor allem, weil die eigenmächtigen Regionen mit ihren Ausgaben ausscheren. Bis jetzt hat freilich auch die politische Lähmung in Madrid durch den unklaren Wahlausgang im Dezember die Laune von Investoren und Konsumenten kaum getrübt. Aber die Vorlaufindikatoren zeigen: Lang darf die politische Pattsituation nicht mehr dauern.

Italien hat schwere Zeiten hinter sich: drei Jahre Rezession, davor langer Stillstand. Dass sich nun die Stimmung deutlich aufhellt, ist tatsächlich auch Matteo Renzi zu verdanken – aber weniger den konkreten Reformen des Premiers als eher seiner ansteckenden Euphorie.
Zwar hat sich seit seinem Amtsantritt politisch einiges geändert: Der Arbeitsmarkt ist reformiert, Steuererleichterungen wirken belebend, durch die teilweise Entmachtung des Senats treten wichtige Gesetzte schneller in Kraft. Auch in Italien hat sich die Leistungsbilanz ins Positive gedreht. Aber das allein dürfte noch keine kräftige Erholung auslösen, zumal in einem Land, das mit 132 Prozent des BIPs nach Griechenland die zweithöchste staatliche Schuldenlast in der Eurozone zu schultern hat. Dazu kommt eine verschleppte Bankenkrise, die zu Jahresbeginn virulent wurde. Dennoch: Verbraucher und Unternehmer sehen in der letzten Zeit wieder mit deutlich mehr Zuversicht in die Zukunft ihres Landes – aller Korruption, Bürokratie und dem technologischem Rückstand zum Trotz. Der Konsum zieht an, Firmen investieren wieder. Das muss wohl auch mit Renzi zu tun haben, der als Prediger des Aufschwungs durch die Lande zieht.

Frankreich ist kein Land für ökonomische Jubelmeldungen, und das mag ungerecht erscheinen. Denn natürlich gab es hier bei Weitem keinen so starken Rückschlag wie in den südeuropäischen Krisenstaaten. Stattdessen zeigte die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone über viele Jahre Symptome des wirtschaftlichen Siechtums: kein Wachstum, steigende Arbeitslosigkeit und eine Leistungsbilanz, die – gegen den europäischen Trend – stärker ins Minus rutscht. Dieses Szenario ist nun einer anämischen Erholung gewichen. Aber sie reicht nicht dafür aus, dass die Unternehmen wieder kräftig neue Mitarbeiter einstellen und damit die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Franzosen sind in einer ähnlichen Situation wie die Deutschen zu Beginn der Nullerjahre. Selbst wenn sie ähnlich beherzte Reformen im Sozialsystem (und zusätzlich bei der Arbeitszeit) wagen, dauert es vermutlich Jahre, bis sie die Früchte ernten können. Und danach sieht es nicht aus: Die halbherzigen Pläne von Präsident Hollande werden vom linken Flügel seines Parti Socialiste weiter abgeschwächt. Damit profitiert Frankreich vorerst nur von der europäischen Konjunktur – und segensreichen Einflüssen von außen: niedrigen Zinsen, billiger Energie, schwachem Euro.

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