Prognose. Schon zum vierten Mal in Folge nimmt der IWF seine Erwartungen für das Wachstum der Weltwirtschaft zurück. Aufhorchen lassen die Kritik am fehlenden Zusammenhalt der EU.
Wien/Washington. Beim IWF wächst die Sorge im Vierteljahrestakt. Seit vorigem Sommer hat der Internationale Währungsfonds nun schon vier Mal seine Prognose für die Entwicklung der Weltwirtschaft gekappt. Aktueller Stand in dem am Dienstag präsentierten „World Economic Outlook“: 3,2 Prozent globales Wachstum für heuer, um zwei Zehntelpunkte pessimistischer als noch im Jänner. Im kommenden Jahr sollen es dann 3,5 Prozent werden, auch das leicht weniger als zuletzt erhofft.
Der gedämpfte Ausblick zieht sich über den Globus, die meisten Regionen und großen Länder sind betroffen. Eine Ausnahme ist Südostasien. Indien und kleinere Märkte wie Vietnam boomen weiter. Aber auch China sieht man ein wenig optimistischer, freilich vor allem, weil Peking Stimuli angekündigt hat – also aus nicht nachhaltigen Gründen.
Das dabei aufgezeigte Problem: Je länger das zu schwache Wachstum andauert, umso anfälliger werde die Wirtschaft für negative Einflüsse. „Es gibt nicht mehr viel Raum für Fehler“, sagte Chefvolkswirt Maurice Obstfeld. Das empfohlene Instrumentarium ist bekannt: eine weiterhin lockere Geldpolitik in den Industriestaaten, fiskalische Anreize „wo möglich“ und Strukturreformen. Daneben drängt Obstfeld nun auch auf „Notfallpläne“ für den Fall, dass die Abwärtsrisiken schlagend werden – etwa in der Folge von neuen Turbulenzen auf den Finanzmärkten.
Der Aprilausblick vor dem Frühjahrstreffen von IWF und Weltbank ist von Analysen begleitet. Vor einem Jahr stellte der IWF dabei das schrumpfende Potenzialwachstum in den Vordergrund: Es sinke in den meisten größeren Staaten durch die Überalterung der Gesellschaft; zudem hätten Schwellenländer die große Aufholjagd bei der Produktivität schon hinter sich. Dieses Szenario wird heuer ergänzt: Wenn nun in der kurzen Frist das schwache Wachstum zu lange anhalte und Investitionen ausblieben, sinke auch dadurch das künftige Potenzial.
Gefahr des Protektionismus
Aufhorchen lässt ein Aspekt in der Obstfeld-Präsentation: Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die entwickelten Volkswirtschaften immer mehr grenzüberschreitenden Handel zu. Aber dieser segensreiche Trend drohe sich umzukehren. Der skizzierte Teufelskreis: Eine protektionistische Politik senke das Potenzial für Wachstum, und weniger Wachstum könne wiederum die nationalistischen Tendenzen verstärken. Konkret geht der IWF dabei auf die Flüchtlingsbewegung in die EU ein. Geschlossene interne Grenzen in Europa würden „zu einem steigenden nach innen gerichteten Nationalismus führen“.
Der Fonds fordert aber auch konkret mehr Maßnahmen zur Integration von Flüchtlingen. Dazu zählen Arbeitsgenehmigungen für Asylwerber – die es in Österreich nur in Ausnahmefällen gibt – und Lohnsubventionen für Firmen, die Flüchtlinge beschäftigen wollen.
Die schlimmste Folge des immer geringeren Zusammenhalts in Europa aber wäre aus IWF-Sicht ein Brexit. Schon jetzt herrsche deshalb Unsicherheit unter den Investoren. Wenn sich die Briten im Juni durch ihr Referendum von der EU verabschieden, könne das „ernsten regionalen und globalen Schaden anrichten“, weil es bedeute, dass „etablierte Handelsbeziehungen auseinanderbrechen“.
Bereits im Februar hatten die G20 von einem Austritt Großbritanniens aus dem europäischen Binnenmarkt dringend abgeraten. Aber die Formulierung des IWF ist deutlich schärfer ausgefallen. Der britische Finanzminister, George Osborne, freut sich über „die klarste unabhängige Warnung“ – und damit über Schützenhilfe für das Pro-EU-Lager der Regierung. (red.)