Ein Teufel namens YouTube

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Ohne Geld keine Musi? Von wegen: Nirgends boomt der Konsum von Klängen so wie auf YouTube - aber die Musikindustrie verdient daran nur wenig. Nun macht sie gegen die bedenklich beliebte Videoplattform von Google mobil.

YouTube ist der Teufel.“ Das sagt einer, der Bescheid wissen sollte. Zwar nicht unbedingt über die Mächte des Bösen, aber doch übers Musikgeschäft. Peter Mensch hat als Manager schon Madonna, Led Zeppelin und AC/DC zu Ruhm und Reichtum verholfen. Er sorgt heute für Metallica, die Red Hot Chili Peppers und Muse. Und er verbreitet gerade düstere Prophezeiungen über das unheilvolle Wirken der allzu beliebten Videoplattform: „Wir bekommen überhaupt nichts bezahlt. Wenn niemand etwas gegen YouTube unternimmt, sind wir erledigt.“

Aber die Mächte des Lichts formieren sich. In der vergangenen Woche haben die drei größten Musiklabels gegen die Google-Tochter mobil gemacht. Universal, Sony und Warner beschwerten sich bei der US-Urheberrechtsbehörde: Das Filtersystem, das nicht lizenzierte Videos erkennen soll, funktioniere nicht richtig. Dadurch entgehe ihnen viel Geld. Auch der Weltverband der Musikwirtschaft bringt seine Geschütze in Stellung: In seinem jüngst veröffentlichten Jahresbericht beklagt der Ifpi eine „fundamentale Schwäche“ des Marktes, eine „Verzerrung, die Künstler und Labels ihres fairen Ertrags beraubt“. Es werden auch die Übeltäter ausgemacht, ohne Namen zu nennen: „digitale Dienste“, bei denen „Nutzer selbst hochladen“. Da gibt es ein paar kleine Fische, wie Soundcloud oder Daily Motion. Aber nur einen ganz Großen. Schuld ist also YouTube.

Warum das Feuer aus allen Rohren? Eigentlich könnte sich die Branche ja freuen: Das erste Mal seit fast zwei Jahrzehnten ist der Markt im Vorjahr kräftig gewachsen, mit über drei Prozent. Getrieben haben die Entwicklung entgeltliche Streamingdienste wie Spotify, Deezer und Apple Music. Gegen ein monatliches Abo laden sich dort die Nutzer ihre Lieblingslieder nicht dauerhaft, sondern für den augenblicklichen Hörgenuss herunter. Die steigende Übertragungsgeschwindigkeit hat das Abrufen von Musik im Netz immer attraktiver gemacht. Aber die Bezahl-Abos sind hier nur die Spitze eines Eisberges. Tatsächlich ist der Konsum von Klängen durch das Streaming geradezu explodiert – aber dort, wo er nichts kostet. Beim Gratisbasisdienst von Spotify etwa, vor allem aber auf YouTube: Sich dort ein Video anzuschauen ist zugleich die beliebteste Form, digital Musik zu hören.

Ein altes Privileg. Diese Entwicklung ist der Industrie ein Dorn im Auge, weil sie daran wenig verdient. Nun sieht man die Chance, das zu ändern. Denn bei den drei Großen der Branche laufen heuer die Lizenzierungsverträge mit Google aus. Alles ist neu zu verhandeln. Wie man am Säbelgerassel hört, stehen die Zeichen auf Krieg. In den vergangenen Jahren herrschte eine Art Waffenstillstand im alten Streit der Rechteinhaber mit der Plattform. Die Filtertechnologie (sie heißt Content ID) soll verhindern, dass urheberrechtlich geschütztes Material erfolgreich hochgeladen wird. Seltsamerweise ist YouTube dazu gar nicht verpflichtet. Gesetze aus den frühen Tagen des Internets gewähren solchen Plattformen ein „Haftungsprivileg“ – auch in Europa. Das heißt: Sie haften nicht dafür, wenn Nutzer illegal hochladen. Nur wenn der Geschädigte sich beschwert, müssen sie den Inhalt vom Netz nehmen oder eine Verwertung ermöglichen. Das Recht sollte damals, wie der Verband meint, „passive Vermittler schützen“. Aber es passe nicht mehr zu Firmen, die „aktiv Musik verbreiten“ und die Inhalte kommerziell erfolgreich nutzen – so wie die Abo-Dienste.

Sicher, es gibt den Filter. Aber hat er auch nur ein kleines Leck, müssen die Labels selbst nach Sündern fahnden. Das ist wie mit den tausend Köpfen der Hydra: Kaum ist ein Video gelöscht, taucht es schon wieder auf. Weshalb die Musikwirtschaft ein neues, zeitgemäßes Gesetz fordert. Aber das Gerangel um den Umgang mit illegalen Uploads ist nur ein Nebenschauplatz. Vor allem geht es um die lizenzierten Videos, die der Musikbetrieb selbst für das Netz freigibt. Das muss er, um seine Songs breiter bekannt zu machen. Freilich will er daran auch etwas verdienen. Aber auch hier sitzt YouTube unter dem juristischen Schutzmantel am längeren Hebel. In die Videos verpackt sind Werbeeinschaltungen. Der größere Teil der Erlöse dafür bleibt bei YouTube, nur ein kleinerer geht an Plattenfirmen und Künstler. Aber diesen wird immer klarer, was für ein schlechtes Geschäft sie da machen.

Bei Apple Music schätzt man, dass YouTube für 40Prozent des aktiven Musikkonsums verantwortlich ist. Aber nur vier Prozent der Einnahmen der Branche kommen aus dieser Quelle. Noch deutlicher zeigt sich das Missverhältnis im Vergleich der Streaming-Platzhirsche: Von einem braven Abonnenten kassiert die Musikindustrie im Schnitt knapp 30 Dollar im Jahr. Von einem durchschnittlichen YouTube-Piraten sind es kümmerliche 70 Cent.

Aber die Sorge der Plattenfirmen reicht über die entgangenen Einnahmen von heute hinaus. Sie treibt auch die Sorge um, dass die Gratis(un)kultur immer stärker überhandnimmt. Eine junge Generation, die mit dem üppigen Angebot zum Nulltarif aufwächst, könnte bald gar nicht mehr bereit sein, für einen ausgewählten Song zu zahlen. Bei YouTube erklärt man diese Furcht für unbegründet – mit einer kühnen Argumentation: Immer schon sei nur ein Fünftel der Hörer bereit gewesen, für Musik etwas auszugeben. Dieser Anteil bleibe konstant. Für die Musiker und ihre Vermarkter sei die Videoplattform deshalb ein Geschenk des Himmels: Die Wohltäter aus dem Hause Google erlaubten ihnen, auch aus dem Musikkonsum der großen Mehrheit der Zahlungsunwilligen Kapital zu schlagen – durch den Anteil an den Werbeeinnahmen. Freilich seien das keine großen Beträge. Aber wer dabei auf die Einnahmen aus Plattenverkäufen oder Streaming-Abos schiele, vergleiche Äpfel mit Birnen.

Beim österreichischen Verband der Musikwirtschaft schüttelt man darüber den Kopf – und verweist auf den starken Zuwachs bei den entgeltlichen Streaming-Abos. Die Konsumenten seien also sehr wohl bereit, für Musik angemessen zu zahlen, der Anteil der Unwilligen sei nicht in Stein gemeißelt. Zudem liege er in der westlichen Welt nicht bei 80, sondern nur bei 50 Prozent. Verbandschef Franz Medwenitsch will sich deshalb nicht mehr mit „mickrigen Deals“ abspeisen lassen. Die EU solle rechtlich „endlich Klarheit schaffen“: „Wir wollen YouTube als Partner sehen, aber auf Augenhöhe!“

Gut und Böse

Die Lieblinge: Streamingdienste wie Spotify bieten ihren Nutzern monatliche Abos an. Vom Erlös gehen 70 Prozent an die Labels und Musiker.

Die Feindbilder: Auch werbefinanzierte Plattformen wie YouTube treten einen Teil ihrer Einnahmen ab. Aber umgerechnet auf den einzelnen Musikkonsumenten macht dieser nur 0,7 Dollar im Jahr aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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