Was Europas Unternehmen fehlt

An employee of Infosys stands at the front desk of its headquarters in Bengaluru
An employee of Infosys stands at the front desk of its headquarters in BengaluruREUTERS
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Die beste börsenotierte Firma ist Infosys in Indien. Schwellenländer und USA überflügeln Europa. Hier mangle es an Innovationskraft und Weltoffenheit, sagen die Macher des Rankings.

Wien. Die Börsen sind wie ein Laufsteg: Die Stars kommen und gehen. Wer heute die Anleger entzückt, kann morgen schon tief fallen. Welche Unternehmen sich auf Dauer bewähren, zeigt sich nicht an Streiflichtern wie Umsatzwachstum, Gewinn oder Dividende. Sondern daran, wie gut sich das eingesetzte Kapital verzinst, am soliden finanziellen Fundament und am zukunftssicheren Geschäftsmodell.

So sehen es zumindest die Schweizer Vermögensberater von CE Asset Management (CEAMS). Auf Basis ihrer Qualitätskriterien nehmen sie jährlich die knapp 2500 größten börsenotierten Unternehmen unter die Lupe – und küren daraus die 100 besten, weltweit und in Europa. Das Ergebnis liegt der „Presse“ für Österreich exklusiv vor.

Globaler Sieger ist zum zweiten Mal in Folge Infosys, der indische Anbieter von IT-Leistungen, die westliche Konzerne in das Billiglohnland auslagern. Auch für Daten verschwimmen die Grenzen: Dass man sie immer öfter in der Internet-Cloud statt auf firmeneigenen Servern lagert, kommt Infosys künftig stark zugute. Und von wegen „nur billig“: Mit wachsender Erfahrung können die Inder auch hochwertige Beratung anbieten und so hochprofitabel bleiben.

Aufruf zum Auslagern

Dass ein indischer Konzern an der Spitze steht, ist kein Zufall. In Schwellenländern und den USA häufen sich die „Besten“. Europa stellt zwar 23 Prozent des Börsenwerts im MSCI-Weltaktienindex. Aber in den Top 100 der Schweizer Experten reicht es nur für 13 Prozent Anteil. Das heißt: Noch sind Europas Konzerne groß und mächtig, aber sie verlieren an Boden.

Woran liegt es? „Es fehlt an Innovationskraft bei Groß und Klein“, stellt CEAMS-Mitgründer Philipp Weckherlin fest. Europas Unternehmen konzentrieren sich nicht genug auf das, was sie am besten können. Sie scheuen sich, „die Wertschöpfung zu optimieren“, sprich: Bereiche auszulagern, auch in das billigere Ausland. Dabei gäbe es auch innerhalb Europas ein gewaltiges Lohngefälle: In der Schweiz liege das Pro-Kopf-Einkommen bei 80.000 Euro jährlich, in Bosnien bei 4000 – „ein Unterschied von Faktor 20, der zu wenig genutzt wird“. Es dominieren die Barrieren: „sprachlich, kulturell, regulatorisch“. Gewerkschaften kämpfen um den Erhalt alter Strukturen, „Krankenkassen zahlen die Hüftoperation in Polen nicht“.

Seine These untermauert Weckherlin mit dem Ranking: Großbritannien, die Schweiz und Skandinavien stehen besser da – sie haben mehr Sieger, als es der Börsenwert ihrer Firmen vermuten lässt. Warum? Weil sie mehr „Weltoffenheit“ zeigen. Die Schweizer etwa „waren immer gezwungen, Sprachen zu lernen“. Wie die Briten haben sie „viele Ausländer hereingelassen“, auch um ihre Firmen zu führen. Am Beispiel Nestlé: Da gesellte sich zum Schweizer Apotheker als Gründervater rasch ein amerikanisches Brüderpaar.

Preis für Mayr-Melnhof

Zur Offenheit gehört auch „die Frechheit, Neues zu wagen“. Wo sie fehlt, bleiben auch wichtige Industrien zurück: Internet, Kommunikation, Biotechnologie oder Medizintechnik. Aber sind nicht die amerikanischen IT-Konzerne den Europäern uneinholbar davongaloppiert? Diesen Fatalismus teilt Weckherlin nicht. Was die Amerikaner bei den Zukunftstechnologien so stark mache, sei vor allem das „gewaltige Netzwerk“ im Silicon Valley. Aber gerade bei Internetfirmen treffe man auf eine besonders „offene Gesellschaft“: „Man spielt sich Ideen zu“, redet viel mit Lieferanten und Kunden, „ist schnell Teil der Gemeinschaft“. Deshalb müsse Europa solche Cluster nicht unbedingt mit nur eigenem Personal hier nachbauen. Einfacher kann es sein, in den USA „einen Fuß drinnen zu haben“, auch durch Kontakte zu Unis. Dann können Firmen gute Leute abwerben, nach Europa locken.

Wie man auch mit unspektakulären Produkten spektakulär erfolgreich sein kann, zeigt der neue Europa-Sieger im Ranking: Die deutsche Rational AG liefert weltweit mehr als die Hälfte aller professionellen Küchen aus – für Restaurants, Kantinen, Spitäler und Gefängnisse. Keine Raketenwissenschaft, gewiss. Aber mit der Zeit haben sich die Bayern so viel Reputation und (auch rechtliches) Know-how erarbeitet, dass Köche kaum an ihnen vorbeikommen.

Wie auch Konsumgüterkonzerne an den Verpackungen von Mayr-Melnhof. Den Titel des besten börsenotierten Unternehmens in Österreich scheint der Kartonhersteller gepachtet zu haben. Was aber auch an der hierzulande kleinen Zahl an großen gelisteten Firmen liegt. Dennoch: Die Kriterien der Schweizer Berater sind streng. Die Offenheit leben sie übrigens vor: Ihr Analystenteam arbeitet nicht in der Zentrale am Zürichsee, sondern im lettischen Riga.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2016)

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