Die Griechen gehen in den Steuerstreik

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Die Bürger schulden dem Staat 87 Mrd. Euro. Der Fiskus kann nur noch 45 Prozent des Volumens laut Tarif eintreiben. Ein Grund: die sehr ungleich verteilte Last.

Irgendetwas kann da nicht stimmen: Seit Jahren erhöhen diverse griechische Regierungen die Steuern immer weiter, um die Budgetvorgaben der internationalen Geldgeber zu erfüllen. Aber die Kassen bleiben leer. Weil es der Wirtschaft so schlecht geht? Seit 2014 ist sie in Summe zumindest nicht weiter geschrumpft. Nein, der wesentliche Grund ist ein anderer: Immer mehr Griechen weigern sich, die geforderten Mittel auch wirklich zu zahlen. Konnte der Fiskus im Jahr 2010 noch über 70 Prozent der aktuell geschuldeten Beträge eintreiben, waren es im Vorjahr nur noch 45 Prozent, zeigen Zahlen des Finanzministeriums und des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Mittlerweile summieren sich die Schulden der Steuerzahler bei ihrem Staat auf 87 Mrd. Euro, berichtete am Sonntag die Zeitung „Kathimerini“ unter Berufung auf IWF-Zahlen. Damit hält das kleine Land mit nur elf Millionen Einwohnern den europäischen Rekord. Der Betrag entspricht knapp der Hälfte der jährlichen Wirtschaftsleistung (in den meisten anderen EU-Ländern sind es null bis drei Prozent). Rund 28 Prozent der griechischen Staatsschulden könnten damit zurückgezahlt werden.

Warum hat die Steuermoral, die in Griechenland nie die beste war, nochmals so massiv nachgelassen? Weiterhin gilt: Die Behörden sind nicht in der Lage, die Eintreibung wirksam zu organisieren. Einige steuerpflichtige Haushalte haben nach sieben Jahren Krise einfach kein Geld mehr, um ihre Steuerschulden zu begleichen. Aber der IWF weist vor allem auf einen anderen, sonst kaum beachteten Umstand hin: Mehr als die Hälfte aller Haushalte, die Löhne oder Pensionen beziehen, sind durch großzügige Steuerfreibeträge von vornherein von der Einkommensteuer befreit. Der Anteil ist weit höher als in jedem anderen Land des Währungsraumes. Im Schnitt der Eurozone liegt er bei nur neun Prozent, in Österreich noch knapp darunter (wohlbemerkt auf Basis der Haushalte – legt man die einzelnen Erwerbstätigen zugrunde, ist der Wert viel höher, weil oft innerhalb einer Familie eine Person Teilzeit mit niedrigem Gehalt arbeitet).

Zurück zu Hellas. Dort müssten umgekehrt die obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher im – laut IWF – „stark verzerrten“ griechischen Steuersystem ganze 60 Prozent der Last tragen. Und das verweigern offenbar gerade immer mehr der Besserverdiener. Was Athen (und der IWF) lange nicht wahrhaben wollten. In den ersten Krisenjahren vertraute man viel zu stark „darauf, bereits hohe Steuersätze, die auf einer engen Basis eingetrieben werden, noch weiter zu erhöhen“. Dass die IWF-Mitarbeiter die Zahlen publik machen, hat ein klares Ziel: Sie versuchen seit Monaten händeringend, den Geldgebern in Europa begreiflich zu machen, dass Griechenland ohne einen Schuldenschnitt finanziell nicht auf einen grünen Zweig kommen kann. Bisher zeigt ihr Appell wenig Erfolg, wie auch der jüngste Kompromiss mit Athen wieder gezeigt hat.

IWF warnt vor zu ehrgeizigen Zielen

Die Debatte fokussiert sich dabei vor allem auf den Primärüberschuss, also das Ergebnis der staatlichen Haushalte vor Zahlung von Zinsen. Der IWF will das bisherige Ziel von 3,5 Prozent des BIP nicht mehr seinen Prognosen zugrunde legen, weil er es für unrealistisch hält. Über einen längeren Zeitraum könnte es nach IWF-Einschätzung nur unter zwei Bedingungen erreicht werden: Zum einen müssten die Ausgaben für Beamtengehälter und Pensionen sinken, die immer noch 75 Prozent der Ausgaben vor Zinsen ausmachen. Und zum anderen müsste eben die „Steuerbasis breiter werden“. Für solche tiefgreifenden Reformen sieht der IWF aber nicht „den nötigen politischen und gesellschaftlichen Rückhalt“.

Nur in den Neunzigerjahren erzielte Athen Primärüberschüsse, und auch damals schaffte man (im Schnitt über acht Jahre) nur 1,75 Prozent. Die IWF-Experten vergleichen auch im großen Stil: Sie fanden in ihren Daten aus den letzten 200 Jahren nur 15 Fälle, in denen Staaten eine mehr als fünf Jahre dauernde Rezession erlitten. Keines dieser Länder schaffte im Anschluss dauerhaft Primärüberschüsse von über zwei Prozent.

Deshalb, so das IWF-Fazit, müsse man realistisch bleiben und von Griechenland nicht mehr als 1,5 Prozent Überschuss in den kommenden Jahren erwarten. Und das hieße wohl für die europäischen Regierungen: eingestehen, dass sie um einen Schuldenschnitt nicht herumkommen – so unbeliebt er bei ihren Wählern auch sein mag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2016)

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