Frankreich: Streiks eskalieren vor Fußball-EM

Frankreich versinkt im Chaos: Proteste und Streiks gegen die unbeliebte Arbeitsmarktreform legen seit Wochen das Land lahm.
Frankreich versinkt im Chaos: Proteste und Streiks gegen die unbeliebte Arbeitsmarktreform legen seit Wochen das Land lahm.(c) APA/AFP/JEAN-PHILIPPE KSIAZEK
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Die Proteste gegen die Arbeitsmarktreform führen zu Benzinknappheit, Streiks und Randalen. Die Gewerkschaften drohen mit Aktionen während der EM, doch die Bevölkerung zieht nicht mehr mit.

Paris. In Frankreich liegen wenige Tage vor Beginn der EM-Fußballmeisterschaft die Nerven blank. Die Streiks gegen eine Lockerung der Arbeitsmarktgesetze, die seit Wochen das Land stilllegen, könnten nun auch die EM massiv behindern. Denn derzeit zeichnet sich keine Lösung im Streit zwischen Regierungen und Gewerkschaften ab.

Diese Woche soll ein neuer Anlauf genommen werden, um trotz verhärteter Fronten doch noch einen Kompromiss vor Beginn der EM am 10. Juni zu finden. Denn beide Seite wissen, dass der Konflikt in der Bevölkerung zunehmend unpopulär ist.

Deshalb versucht die Regierung auch, die Situation schönzureden. Tatsächlich hat sich die Versorgungslage durch Benzin und Diesel ein wenig entspannt, nachdem die Polizei auf Geheiß der Staatsführung die blockierten Zufahrten zu den wichtigsten Depots mit den Notvorräten an Treibstoff mit Gewalt geräumt hat. Für eine Entwarnung ist es allerdings zu früh: Die Erdölraffinerien sind weiterhin durch Streiks weitgehend lahmgelegt. Auch werden die Flughäfen aus den Erdölterminals der Atlantikhäfen Le Havre und Dunkerque nicht mehr regelmäßig durch Pipelines mit Kerosin versorgt.

Eingeschränkter Flugverkehr

Hinzu kommt, dass nun auch bald der Strom knapp werden könnte: Die Gewerkschaftszentrale der CGT will den Würgegriff im Energiesektor noch verstärken und beispielsweise die Stromzufuhr aus den ebenfalls bestreikten Atomkraftwerken verringern. Um die Lohnausfälle für die eigenen Mitglieder auf ein Minimum zu beschränken, verfolgt die CGT eine Strategie der punktuellen, aber sehr schmerzhaften Stiche an den neuralgischen Punkten der Volkswirtschaft.

Und am Dienstagabend beginnt erneut ein Bahnstreik, der bis Montag dauern soll, am Mittwoch wollen die Beschäftigten der Pariser Metro und Busbetriebe unbefristet die Arbeit niederlegen. Für Freitag bis Sonntag haben sämtliche Gewerkschaftsverbände der Zivilluftfahrt einen Streik angekündigt, der voraussichtlich den Flugverkehr schwer behindern dürfte. Bereits jetzt, vor der EM, sind die Konsequenzen des Streiks auf den Fremdenverkehr spürbar. Schon seit den Attentaten vom November 2015 machen viele Touristen einen Bogen um Frankreich, nun muss das Gastgewerbe erneut mit Stornierungen rechnen.

Eine „stalinistische Diktatur“

Die Regierung hofft, dass den Gewerkschaften noch vor der EM die Luft ausgeht. Auf der Gegenseite spielt die CGT aber bewusst auf Zeit. Die Drohung mit einem Streikchaos zum Auftakt der EM erlaubt es, die kompromisslose Staatsführung unter Druck zu setzen. Der charismatische CGT-Boss, Philippe Martinez, gefällt sich offenbar in der Rolle des sozialen Brandstifters: Laut Umfragen betrachten ihn die Franzosen als „wichtigsten Gegner der Regierung“ – mehr noch als Oppositionspolitiker der Parteien, wie Nicolas Sarkozy, Alain Juppé oder Marine Le Pen. Besonders beliebt ist er deswegen aber nicht. Der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands, Pierre Gattaz, gießt indes Öl ins Feuer. Die CGT-Aktivisten würden sich mit ihren Störaktionen wie Schurken benehmen, schimpft er. „CGT, das ist eine Abkürzung für Arbeitslosigkeit“, polemisiert Gattaz, der die Druckergewerkschaft der CGT, die die Zeitungen am Erscheinen gehindert hat, mit einer „stalinistischen Diktatur“ vergleicht.

Dass die CGT aber mit ihren Streiks nun das Megafußballevent stören könnte, ist für die Gewerkschaft ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Denn Fußball ist für die Franzosen noch mehr eine heilige Kuh als die „sozialen Errungenschaften“, die die CGT gegen die Liberalisierungsbestrebungen verteidigen will. Wer den Anpfiff zu den EM-Spielen sabotieren will, riskiert, von der öffentlichen Meinung die Rote Karte gezeigt zu bekommen. Obwohl laut Meinungsforschern die Franzosen klar gegen die Arbeitsmarktreform, die Lockerung der 35-Stunden-Woche und überhaupt gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung sind, sehen sie jetzt schon das radikale Vorgehen der CGT mit größter Skepsis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)

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