USA: Amerikas Mittelschicht schrumpft

 Neue Erhebungen zeigen die wachsende Spaltung der USA in Arme und Reiche.
Neue Erhebungen zeigen die wachsende Spaltung der USA in Arme und Reiche. (c) Bloomberg (Luke Sharrett)
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Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Familien in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft in 203 von 229 städtischen Großräumen gesunken. Reichtum und Armut sind gestiegen.

Washington. Die Städte Goldsboro in North Carolina und Midland in Texas verbindet auf den ersten Blick so gut wie gar nichts. Goldsboro mit seinen knapp 36.000 Einwohnern ist ein alter Knotenpunkt für Eisenbahnlinien und beherbergt eine Luftwaffenbasis. Midland ist fast viermal größer und liegt inmitten der Öl- und Erdgasfelder von Westtexas.

Doch über die Entfernung von 2600 Kilometern und diese sozioökonomischen Unterschiede hinweg lässt sich in Goldsboro und Midland zumindest ein gemeinsames Phänomen feststellen. Seit der Jahrtausendwende ist die Mittelschicht in beiden Städten stark geschrumpft. In Goldsboro sank der Anteil der Erwachsenen, welche in Haushalten mit Einkommen im mittleren Bereich leben, in den Jahren 2000 bis 2014 von 60 Prozent auf 48 Prozent. In Midland war dieser Rückgang ähnlich stark, dort schrumpfte die Mitte von 53 Prozent auf 43 Prozent.

Doch die Gründe für das Schwinden der Mittelschicht sind in beiden Städten komplett verschieden, und das veranschaulicht den tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel, der die Vereinigten Staaten in den vergangenen zwei Jahrzehnten geformt hat. Midlands Mittelschicht schrumpfte, weil die amerikanische Öl- und Gaswirtschaft im gegenständlichen Zeitraum einen enormen Aufschwung erfuhr und gestiegene Löhne und Gehälter zahlreiche Menschen in die Oberschicht der Einkommensklassen hoben. Ihr Anteil an der Bevölkerung der Stadt verdoppelte sich von 18 auf 37 Prozent.

29 % weniger Industriejobs

Das genaue Gegenteil geschah in Goldsboro. Dort stieg der Anteil der Erwachsenen, die zur ökonomischen Unterschicht zählen, von 27 auf 41 Prozent. Goldsboro ist eine jener Kleinstädte im Südosten der USA, die weder auf den Schiefergasboom setzen konnten noch sich als offene, wissensbasierte Metropolen des New South neu erfinden konnten, wie das Charleston, Raleigh, Charlotte oder Savannah gelungen ist.

Diese Einsichten in den Wandel der US-Einkommensklassen sind einer Studie des Pew Research Centers verdankt. Die Forscher dieses renommierten Instituts zur Vermessung der öffentlichen Meinung und sozialen Lage in den USA haben auf Basis des Current Population Survey der US-Statistikbehörde untersucht, was in 229 metropolitanen Regionen seit dem Jahr 2000 mit den Einkommen passiert ist (das entspricht 76 Prozent aller Menschen in den USA).

Der Befund ist klar: die große Rezession, welche im Jahr 2008 begann, ist noch lang nicht verdaut, und mancherorts hat sie vielen Menschen den Boden dauerhaft unter den Füßen entzogen. In 203 Großräumen schrumpfte die Mittelschicht. Die Beschäftigung in der Industrie – traditionell das Rückgrat der Mittelschicht – ist seit dem Jahr 2000 um 29 Prozent gesunken. Landesweit ging die Mittelschicht seither um vier Prozentpunkte zurück, in 53 städtischen Großräumen betrug der Rückgang sechs Prozentpunkte oder mehr.

Mehr Arme und mehr Reiche

Die große Rezession hat die Medianeinkommen aller drei grob gezeichneten Klassen verringert (siehe Grafik). Zur Mittelschicht zählt nach dieser Berechnung ein Drei-Personen-Haushalt, der zwischen 42.000 und 124.000 Dollar Jahreseinkommen hat. Der Medianwert ist aussagekräftiger als der Durchschnitt, der durch einzelne besonders hohe oder niedrige Einkommen verzerrt wird.
Was sich ebenfalls zeigt: Die Spaltung steigt. In 160 Großräumen wuchs die Unterschicht, in 173 die Oberschicht. Und in der Hälfte der Regionen war beides zu beobachten: in 108 Regionen nahmen Unter- und Oberschicht zu – auf Kosten der Mitte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2016)

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