Geldpolitik ersetzt keine Reformen

ECB President Draghi delivers a speech at the Brussels Economic Forum
ECB President Draghi delivers a speech at the Brussels Economic Forum(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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EZB-Chef Mario Draghi meint, seinen Teil zur Krisenbewältigung beigetragen zu haben. Doch die beste Medizin hilft nichts, wenn die Länder nicht gesünder investieren und budgetieren.

Brüssel. „Inflation?“ Die sei kein Problem, sagte Mario Draghi am Donnerstag beim Economic Forum in Brüssel. „Inflation ist ultimativ ein monetäres Phänomen. Eine Zentralbank kann ihr Mandat also immer erfüllen und Deflation bekämpfen. Aber Geldpolitik existiert nicht in einem Vakuum“, erklärte der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Heißt ins Deutsche übersetzt: Gelddrucken allein reicht nicht. Aber mehr kann die EZB eben nicht machen. Jetzt sind die Regierungen an der Reihe. Der Eurozone drohen ohne Reformen dauerhafte Schäden, sagte Draghi.

Nach dem negativen Preisschock durch den Verfall der Ölpreise sei es die Aufgabe der EZB gewesen, die Ausbreitung einer Deflation in Preisen und Löhnen in Europa zu verhindern. Das sei der Zentralbank, die mittlerweile mehr als eine Billion Euro (1000 Mrd.) in die Märkte gepumpt hat, auch gelungen, erörtert der EZB-Chef.

Draghi reagierte am Donnerstag damit auch indirekt auf neue Kritik an der ultralockeren Geldpolitik der EZB. Allen voran die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, glaubt nicht mehr daran, dass mit niedrigen Zinsen und Geldfluten die Wirtschaft angekurbelt werden kann.

Das Gegenteil sei der Fall. Durch das billige Geld würden Unternehmen künstlich am Leben gehalten, die nicht mehr wettbewerbsfähig seien und in normalen Zeiten längst vom Markt gefegt worden wären. „Die Produktivität verbessert sich nicht, die Volkswirtschaften wachsen kaum, das gilt ganz besonders für Europa und China, und es gibt keine Anzeichen, dass die Inflation zurückkehrt“, sagte OECD-Direktor Blundell-Wignali zur „Welt“.

Fehlgeleitete Geldströme

Die Zinspolitik sei also Gift für innovative Unternehmen. Bestes Beispiel ist die Krise in der Stahlindustrie. Mit billigem Geld pumpen Staaten wie Frankreich und Italien Milliarden in ihre maroden Konzerne, anstatt in potenzielle Wachstumsbranchen zu investieren, Unternehmensgründungen (Start-ups) zu forcieren und mehr Geld in die Forschung zu stecken.

Apropos Start-ups. Den Gründern fehlt es auch deshalb an Kapital, weil es für potenzielle Investoren dank der EZB-Politik noch immer attraktiver ist, in Immobilien und Aktien zu investieren. Mit anderen Worten: Der vom österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter postulierte „Prozess der kreativen Zerstörung“ findet nicht statt. Vielmehr führe die lockere Geldpolitik zu massiven Verwerfungen in der Realpolitik.

Aber immerhin habe die EZB dazu beigetragen, dass die Banken wieder besser dastehen. Zudem sei man den „unbegründeten Sorgen über die Eurozone wirkungsvoll entgegengetreten“, sagte Draghi. Und wieder fügt er ein „Aber“ hinzu. „Die Bankbilanzen sind nicht komplett repariert.“ Und die Fiskalpolitik müsse auch ihren Teil beitragen, um die Nachfrage zu steuern. Nach den Jahren des Sparens sind laut Draghi also wieder Staatsausgaben angebracht. Hier sei man in Europa auch auf dem richtigen Weg.

Und wann immer der Italiener Draghi rhetorischen Beistand benötigt, ist Villeroy de Galhau nicht weit. So verteidigte der französische Notenbankchef bereits am Mittwoch in Deutschland vehement die Niedrigzins-Politik der EZB. „Solange die Inflation zu niedrig ist, wie es heute der Fall ist, müssen wir handeln“, sagte er. Wissend, dass gerade in Deutschland die größten Gegner des Draghi-Kurses zu Hause sind, sagte er: „Die Geldpolitik der EZB ist keine südeuropäische Marotte.“ Gerade Deutschland wäre von einer Deflation massiv betroffen.

Flexiblerer Arbeitsmarkt

Mario Draghi hält also an seinem Weg fest, streut in seine Reden aber immer mehr „Aber“ sein. Wo es noch mangle, betonte der EZB-Chef gestern in Brüssel, seien die Strukturreformen. „Es ist sehr wichtig, dass die richtigen Reformen durchgeführt werden, damit unsere Geldpolitik auch ankommt.“ In Krisenländern wie Portugal seien bereits Reformen geglückt, etwa im Bereich des Arbeitsmarktes. Dies könne als Beispiel für den Rest Europas dienen. „Aber es gibt noch viel Spielraum für Verbesserungen.“ Und schon wieder ein Aber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2016)

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