Deutschland: Wo die meisten Autos auf die Welt kommen

Factory workers inspect cars
Factory workers inspect cars (c) REUTERS (© Laszlo Balogh / Reuters)
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404,8 Milliarden Euro Umsatz, fast 800.000 Beschäftigte: Beim Autobauen kann den Deutschen niemand in Europa das Wasser reichen. Doch so viel Erfolg birgt auch Risken für das ganze Land.

Wien. Es hat gewisse Vorteile, König oder Kaiser zu sein. Man muss sich keinen Wahlen stellen, man muss daher bei Entscheidungen keine Rücksicht auf populistische Meinungen nehmen, und man muss auch nicht dem Zeitgeist hinterherhecheln. Und das hatte Kaiser Wilhelm II. (1859–1941) auch nicht vor, als man ihm die ersten Autos zeigte. „Ich glaube an das Pferd“, meinte seine Majestät, „das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“

Etwas mehr als 100 Jahre nach dieser Einschätzung ist sein einstiges Reich der größte Autohersteller Europas (weltweit liegt Deutschland nach China und den USA an dritter Stelle). Im vergangenen Jahr generierte die deutsche Autoindustrie einen Umsatz von 404,8 Milliarden Euro, etwa 40 Prozent des gesamten Umsatzes der europäischen Automobilindustrie. Sechs Millionen Fahrzeuge haben die fast 800.000 Beschäftigten 2015 in Deutschland hergestellt. Der Großteil davon ging ins Ausland, womit die Autoindustrie auch Exporteuropameister ist.

VW steht wieder an der Spitze

Und – Dieselskandal hin oder her – ganz oben auf der Spitze der größten Autobauer nicht nur in Europa, sondern der ganzen Welt, steht auch heuer wieder der Volkswagen-Konzern: In den ersten drei Monaten des Jahres setzte er 2,51 Millionen Fahrzeuge ab, etwas mehr als der ewige Konkurrent um den Spitzenplatz, Toyota (die Japaner kamen im ersten Quartal 2016 auf 2,46 Millionen Autos).

Dass Deutschlands Autoindustrie europa- und weltweit steht, wo sie heute steht, hat viele Gründe. Der Hauptgrund: Viele Jahre lang baute einfach niemand bessere und zuverlässigere Autos. Kein anderes Land kam an die Standards der Deutschen heran, schon gar nicht die USA (dass General Motors, Ford und Chrysler in den Vereinigten Staaten derart gute Absätze haben, hat nicht unwesentlich mit Patriotismus beim Autokauf zu tun). Innovationen kamen vor allem aus Stuttgart (Mercedes bot 1978 als erster Autohersteller der Welt ein vollelektronisches ABS an), aus Wolfsburg (VW bzw. Audi perfektionierte den Dieselmotor mit Direkteinspritzung und Turboaufladung) und München (BMW entwickelte die ersten alltagstauglichen Wasserstofffahrzeuge).

Deutschland ist die Geburtsstätte des Automobils. 1886 hat hier der Erfinder Carl Benz mit dem Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 den Grundstein für die Automobilgeschichte gelegt (kurz danach folgten unabhängig davon Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach und der Wiener Siegfried Marcus mit weiteren Fahrzeugen). Ab 1891 entstanden in Europa bereits Automobilfabriken. Der erste Frontantrieb kam übrigens aus Österreich, Gräf & Stift erhielt dafür 1900 ein Patent.

Der Erfolg der deutschen Autoindustrie birgt freilich auch Risken für die deutsche Wirtschaft. Wenn es diesem Industriezweig schlecht geht, geht es der ganzen Wirtschaft schlecht. Man erlebte es zu Beginn der Wirtschaftskrise 2008 und 2009, als die Autokäufe in Europa massiv einbrachen. Die Politik half der Industrie mit einer Verschrottungsprämie für Altautos auf die Sprünge.

Autonomes Fahren ab 2017

Die Autoindustrie sei „systemrelevant für den Standort Deutschland“, meinte der Wirtschaftswissenschaftler und Autoexperte Heinz-Rudolf Meißner. Deutschlands Autobauer seien zweifellos erfolgreich. „Doch die Erfolge sind das Ergebnis der Leistung von gestern“, warnte der Autoexperte Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, in einem Gespräch mit der „Welt“.

Tatsächlich haben sowohl VW als auch Mercedes und BMW lange Zeit nicht auf das Elektroauto reagiert. Für die Initiative des US-Herstellers Tesla hatte man nur ein mildes Lächeln übrig. Mittlerweile versucht man mit Milliardeninvestitionen an die Konkurrenz aufzuschließen. Das wird gerade auch wegen der strengen Umweltauflagen der Regierungen notwendig, die den erlaubten CO2-Ausstoß von Fahrzeugflotten ständig nach unten drücken.

Das ist das Stichwort für den wohl schwersten Skandal der deutschen Automobilgeschichte. Dass ausgerechnet der grundsolide Hersteller VW seine Motoren manipuliert hat, um Abgasvorschriften erfüllen zu können, hat das Vertrauen in deutsche Ingenieurskunst erschüttert. Zwar sind mittlerweile bei vielen anderen Herstellern ebenfalls Tricksereien ans Tageslicht gekommen, aktiv betrogen wie Volkswagen hat aber keiner.

Die nächste Herausforderung für die Deutschen kommt aus Silicon Valley, wo man intensiv am selbstfahrenden Auto forscht. Audi freilich mischt hier ganz vorne mit: Der neue Audi A8, der 2017 auf den Markt kommt, soll bis 140 km/h autonom auf der Autobahn fahren können.

AUF EINEN BLICK

An Deutschland kommt niemand in Europa heran, wenn es um das Bauen von Autos geht: Sechs Millionen Fahrzeuge wurden vergangenes Jahr von 800.000 Beschäftigten hergestellt. Die Autoindustrie machte damit einen Umsatz von 404,8 Milliarden Euro, das sind etwa 40 Prozent des gesamten Umsatzes der europäischen Automobilindustrie. Der größte Autohersteller nicht nur Europas, sondern der Welt war im ersten Quartal 2016 der VW-Konzern – trotz des Dieselskandals.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)

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