"Schlimmer als der Vertrag von Versailles"

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Nach fünf Jahren Tauziehen wurde die Gründung einer "Superkasse" in Griechenland beschlossen. Außer der Akropolis geht so gut wie das gesamte griechische Staatseigentum an die Gläubiger.

International wurde es kaum registriert, selbst von vielen Griechen mit einem Schulterzucken hingenommen: Ende Mai wurde nach fünf Jahren Tauziehen der größte Sieg der Gläubiger gegen die politische Kaste Griechenlands besiegelt. Zähneknirschend stimmten die Abgeordneten der Regierungskoalition aus Linksbündnis Syriza und Unabhängigen Griechen (Anel) im Parlament für die Gründung einer „Superkasse“, die so ziemlich alles, was dem griechischen Staat gehört, verwalten – und veräußern – soll. Ihr offizieller Name: Griechische Gesellschaft für Beteiligungen und Vermögen.

Es handelt sich um jene Kasse, die um ein Haar den EU-Gipfel vom 12. und 13. Juli 2015 hätte platzen lassen. Ministerpräsident Alexis Tsipras sträubte sich stundenlang gegen die Kasse, am Ende konnte er nur einen symbolischen Erfolg erzielen: Der Sitz der Verwertungsgesellschaft sollte in Athen sein – nicht in Brüssel –, und nur die Hälfte der Einkünfte sollte der Schuldentilgung dienen, die andere dürfte reinvestiert werden. Fast ein Jahr lang wurde über die Kompetenzen der Superkasse verhandelt. Jetzt ist sie da. Und mit ihr die Freigabe von Hilfsgeldern in Höhe von 7,5 Milliarden Euro vergangene Woche beschlossen.


Von Ausländern gesteuert. Für die Opposition ist das Gesetz über die Superkasse für Griechenland „schlimmer, als der Vertrag von Versailles“ für Deutschland nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg war. „Über die Gesamtheit der griechischen Wachstumspolitik wird ein von Ausländern gesteuerter Aufsichtsrat bestimmen“, empörte sich Dora Bakogianni, Spitzenpolitikerin der konservativen Nea Dimokratia; und das für 99 Jahre, also drei Generationen. Bakogianni ist nach eigener Aussage eine überzeugte Liberale, die bisher für sämtliche Privatisierungen gestimmt hat. Doch ein „Hellene“ meint sie, habe einfach kein Recht, für so ein Gesetz zu stimmen.

Doch was ist es, das nicht nur die Opposition in Rage bringt? Erstens werden griechische Vermögenswerte, Banken und Staatsbetriebe für 99 Jahre der Superkasse übertragen und damit dem Zugriff der griechischen öffentlichen Hand entzogen. Zweitens ist die Hälfte der Einnahmen der Bedienung der Staatsschuld vorbehalten. Das heißt, jeder zweite Euro geht ins Ausland. Und zwar für 99 Jahre, während die Laufzeit der Hilfskredite auf etwa 33 Jahre geschätzt wird.

Drittens wird die Unternehmenspolitik nicht vom griechischen Staat, sondern vom fünfköpfigen Aufsichtsrat bestimmt. Einer Art Direktorium, in dem ohne die Zustimmung der Gläubigervertreter nichts beschlossen werden kann. Drei Vertreter stellt Griechenland, zwei die EU-Kommission beziehungsweise der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Für eine Beschlussfassung braucht es eine Mehrheit von vier Stimmen. Fazit: Die Griechen sind nicht mehr Herr im eigenen Land. Und: Die Kasse ist auch der parlamentarischen Kontrolle entzogen.

Die langfristige Bindung der riesigen Vermögenswerte kann aus Sicht der Gläubiger nur einen Sinn haben: Die Assets sind eine Rückversicherung für die Abzahlung der griechischen Schulden von über 300 Milliarden Euro. Giorgos Papakonstantinou, einst Finanzminister der Regierung Papandreou, der 2010 das erste Rettungspaket mit den internationalen Gläubigern aushandelte und kürzlich Erinnerungen mit dem Titel „Game over: Die Wahrheit über die Krise“ schrieb, bringt es auf den Punkt: Die Verwertungsgesellschaft „verpfändet“ das Vermögen des Staates als Garantie für die Rückzahlung der Hilfskredite. Das ist kein einmaliger Vorgang. Bereits nach der griechischen Staatspleite von 1893 wurde eine Kontrollkommission in Griechenland gegründet, die den internationalen Gläubigern (darunter auch Deutschland) direkten Zugriff auf Steuereinnahmen erlaubte. Diese Kommission, eine Art Superkasse light, gab es von 1897 bis 1972, also 75 Jahre. Die letzten Schulden aus dem 19. Jahrhundert zahlte Griechenland im Jahr 1999 zurück.

Die gute Nachricht: Die Akropolis bleibt im Besitz Griechenlands, der Slogan der deutschen Boulevardpresse wird nicht zur Realität. Denn archäologische Stätten und Naturschutzgebiete sind von der Übertragung ausgeschlossen. Eine weitere Ausnahme: Panos Kammenos, Anel-Chef und Verteidigungsminister, konnte die Immobilien des Verteidigungsministeriums in seinem Ressort halten. Dadurch erkaufte sich Ministerpräsident Alexis Tsipras wohl die Zustimmung der Anel-Abgeordneten zum Sparpaket und zu den schmerzlichen Einsparungen im Verteidigungsbudget. Geschätzter Vermögenswert: 34 Milliarden Euro.


Verkauf der Staatsbahn läuft. Die laufenden Privatisierungen im Wert von 6,4 Milliarden Euro finden unter dem alten Regime statt. Die Erlöse werden gänzlich zur Rückzahlung der griechischen Schulden verwendet. Der Hafen von Piräus und 14 Regionalflughäfen wurden bereits verkauft, die Verwertung des ehemaligen Athener Flughafens Elliniko wurde auf Druck der Gläubiger in den vergangenen Tagen wieder aktiviert. Zur Zeit läuft der Verkauf der Staatsbahnen. Von der alten Kasse wird auch die Vergabe des Hafens von Thessaloniki betreut werden.

Die Immobilien der staatlichen Immobiliengesellschaft samt der im Wert unschätzbaren Grundstücke der Fremdenverkehrsorganisation gehen an eine Tochtergesellschaft der Superkasse. Was die Gemüter besonders erregt, ist, dass die Superkasse einen Großteil der griechischen Staatsbetriebe übernehmen wird. Bereits in den nächsten Wochen sollen ihr städtische Verkehrsmittel in Athen, die Post und die Wassergesellschaft von Thessaloniki zugeschlagen werden. Die Angestellten der Verkehrsbetriebe antworten darauf mit Streiks.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)

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