Zentralbanker als Brexit-Feuerwehr

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Die großen Notenbanken versprechen, die Folgen des Brexit an den Aktienmärkten zu lindern. Die BIZ warnt derweil davor, den Zentralbanken zu viel umzuhängen.

Basel/Wien. Eigentlich wollte Jaime Caruana die Welt am gestrigen Sonntag endlich wachrütteln: Die Zentralbanken seien am Limit ihrer Möglichkeiten angekommen, ließ der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in den aktuellen Jahresbericht der „Zentralbank der Zentralbanken“ schreiben. Die Mario Draghis und Janet Yellens dieser Erde könnten nicht alle Probleme mit noch mehr frischem Geld einfach verschwinden lassen, ohne das Finanzsystem selbst in extreme Schieflage zu bringen, heißt es im Bericht.

Geschrieben wurde er ganz offensichtlich vor dem vergangenen Donnerstag: Denn seit die Mehrheit der Briten für den Ausstieg aus der Europäischen Union entschieden hat, rutschen die Kurse an den Börsen wieder – und auch der BIZ-Chef sieht die Dinge ein wenig anders als zuvor. „Die großen Zentralbanken werden die Turbulenzen an den Märkten nach dem Votum der Briten so weit wie möglich eindämmen“, versprach Jaime Caruana am Sonntag.

Mär von allmächtigen Notenbanken

Die Bank of England bot etwa 250 Milliarden Pfund (307,7 Milliarden Euro) und „substanziellen“ Zugang zu den Fremdwährungsreserven an, um den Druck aus den Märkten zu nehmen. Gouverneur Mark Carney zeigte sich zudem bereit, auch weitere Maßnahmen zu setzen, falls diese notwendig würden. Die Europäische Zentralbank, die US Federal Reserve und die Indische Zentralbank haben ebenfalls „ausreichend Liquidität“ zugesichert. Die Schweizer Notenbank ist bereits einen Schritt weiter: Sie griff am Freitag bereits heftig in das Marktgeschehen ein, damit der Kurs des Schweizer Franken nicht komplett durch die Decke ging.

„Die Zentralbanken haben in der Vergangenheit rasch agiert, und sie stehen bereit, es wieder zu tun“, bekräftigte Caruana. So dürfte die geplante Zinserhöhung in den USA unter diesen Voraussetzungen noch etwas auf sich warten lassen. Die EZB wird wohl noch eine Weile länger Staats- und Firmenanleihen zukaufen, als angekündigt. Und auch für die Nullzinspolitik in Europa ist damit kein Ende in Sicht.

Dabei bergen die extrem niedrigen, teils sogar negativen Zinsen eines der größten Risken für die Weltwirtschaft, warnt die BIZ in ihrem Jahresbericht. Das Zeitalter des schuldenfinanzierten Wachstums müsse ein Ende finden. „Die Grenzen des Undenkbaren werden immer weiter ausgedehnt“, sagte BIZ-Chefvolkswirt Claudio Borio. Mitte Juni seien Staatsanleihen im Wert von fast neun Billionen US-Dollar (acht Billionen Euro) mit negativen Renditen gehandelt worden – ein neuer Rekord. Zudem steigen die weltweiten Schulden im Vergleich zum BIP stark an. Entsprechend schwieriger ist es für die Notenbanken, die Zinsen wieder anzuheben, ohne größere Schäden anzurichten.

„Eine Entlastung der Geldpolitik, der viel zu lange zu viel aufgebürdet wurde, ist unerlässlich“, mahnte Borio. Die Zentralbanken seien aufgrund ihrer raschen Hilfsaktionen in der Finanzkrise als allmächtig angesehen worden. Nun würde von ihnen verlangt, im Alleingang das Wachstum anzukurbeln, Vollbeschäftigung zu sichern und für stabile Preise zu sorgen. Für die Zentralbanken allein seien diese Aufgaben „eine Nummer zu groß“, heißt es im BIZ-Bericht.

Die Verantwortung müsse auch wieder auf die Schultern der Politiker verlagert werden, die strukturelle Reformen zügig umsetzen und die Schuldenstände ihrer Staaten auf ein tragbares Niveau bringen müssten. Die Welt müsse wieder lernen, was Zentralbanken können und was nicht. Bis es soweit ist, müssen sie aber wohl erst einmal als Brexit-Feuerwehr herhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

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