Freie Berufe gegen EU-Liberalisierung

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Die EU will den Marktzugang zu freien Berufen erleichtern. Doch Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte und Architekten laufen dagegen Sturm. Sie sehen ihre Unabhängigkeit gefährdet.

Wien. In Österreich sichern die sogenannten freien Berufe über 200.000 Jobs. Zu den Berufsgruppen gehören Ärzte, Architekten, Apotheker, Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Notare. Diese schlagen nun Alarm. Denn die EU möchte den Zugang zu den freien Berufen erleichtern. Dadurch sollen die Preise (gemeint sind die Honorare) sinken, und der Wettbewerb soll steigen.

Anfang dieses Jahres musste Österreich den Behörden in Brüssel Details zu den reglementierten Berufen berichten. Wegen der Barrieren bei Tierärzten, Patentanwälten und Ziviltechnikern hat die EU bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet. Rudolf Kolbe, Mitglied des Präsidiums der Bundeskonferenz der freien Berufe Österreich, befürchtet, dass sich die EU in weiterer Folge auch die anderen Berufsgruppen vorknöpft.

Das komme „wie das Amen im Gebet“, sagt Kolbe im „Presse“-Gespräch. Eine von der EU geplante Vereinfachung des Marktzugangs würde bedeuten, dass sich berufsfremde Dritte – etwa Pharmakonzerne, Versicherungen, Investmentfonds, Banken und Bauunternehmen – an den bislang geschützten Berufen beteiligen können. „Die Folgen für die Kunden wären verheerend“, sagt Kolbe. Derzeit sei sichergestellt, dass bei den freien Berufen das Interesse der Kunden an oberster Stelle steht. „Wir handeln nach bestem Wissen und Gewissen“, sagt Kolbe.

Hat sich jedoch ein Pharmakonzern in eine Apotheke oder in eine Arztpraxis eingekauft, sei die Unabhängigkeit gefährdet. Ähnliches könne passieren, wenn eine Baufirma mehrheitlich ein Architekturbüro oder ein Investmentfonds eine Rechtsanwaltskanzlei übernimmt. Dann bestehe die Gefahr, dass weniger das Anliegen des Kunden, sondern die Gewinnerwartung des Gesellschafters im Vordergrund steht.

Praktisch alle betroffenen Berufsgruppen laufen gegen die EU-Pläne Sturm. In Österreich arbeiten über 43.000 Ärzte. In einer Stellungnahme der Ärztekammer heißt es: Man spreche sich „gegen gewinnorientierte, nicht ärztliche Teilhaber als Finanziers von Arztpraxen und eine sich daraus ergebende wirtschaftliche Abhängigkeit der Ärzteschaft aus“. Die jetzige Gesetzeslage stelle sicher, dass Investoren sich nicht in Praxen einkaufen.

Angst vor Unterhöhlung

Ähnlich äußert sich Max Wellan, Präsident der Apothekerkammer: „Die Unterhöhlung der freien Berufe ist tatsächlich eine große Gefahr.“ Die Apotheken seien zwar kurzfristig nicht betroffen, „weil es bei uns bestehende Regelungen für Beteiligungen gibt, die die unabhängige Position“ der Apotheker in der Gesellschaft festlegen. „Aber auch da sieht man, dass trotz unserer Berufskultur und der strengen Vorschriften es großer Anstrengungen bedarf, um zu verhindern, dass die Apotheken nicht zum Spielball von Konzern- oder Fremdinteressen werden“, sagt Wellan.

Die Mitglieder der freien Berufe haben bei Professor Leo Chini von der Wiener Wirtschaftsuniversität eine Studie in Auftrag gegeben. Darin heißt es, dass der größte Teil der Berufsreglementierung dem Schutz der Konsumenten diene. Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern seien in Österreich die Reglementierungen überwiegend in Gesetzen festgehalten. Die Spielräume der Kammern (wie Ärztekammer, Apothekerkammer und Rechtsanwaltskammer) seien gering. In anderen EU-Ländern werden die Reglementierungen von den freien Berufen selbst gestaltet.

Chini glaubt nicht, dass eine Reduktion der Vorschriften für freie Berufe zu einer unmittelbaren Steigerung des Wirtschaftswachstums führt, wie es sich die EU-Kommission erhofft. Als Beispiel nennt der Professor Deutschland, „das nach EU-Statistik einen extrem hohen Regulierungsgrad hat, das aber dennoch die höchsten Wachstumsraten im Vergleich zu EU-Mitgliedstaaten mit einem geringen Regulierungsgrad hat“.

Die EU erhofft sich, dass bei einer Liberalisierung die Honorare günstiger werden. Chini gibt dem Gesetzgeber die Schuld an den hohen Honoraren. Denn der Gesetzgeber erhöhe beispielsweise ständig den Leistungsumfang und die Versicherungssumme für Haftpflichtversicherungen. „Durch die höheren Kosten steigen die Honorare der freien Berufe ohne Wirkung auf deren Gewinne.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2016)

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