Konsum lässt Osteuropa wachsen

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Symbolbild.(c) Bloomberg
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Prognose. Erstmals wird heuer der Inlandskonsum und nicht die EU-Förderungen das Wachstum in Osteuropa vornehmlich antreiben, sagen die Ökonomen vom WIIW.

Wien. Birgt der Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit) schon für den gesamten Kontinent kaum abschätzbare Risken, so für die osteuropäischen Staaten noch spezifische Risken zusätzlich. Vor allem, was die ungewissen Bleiberechte für die vielen Arbeitsmigranten in Großbritannien betrifft, ist man seit Sonntag hellhörig geworden. Durchaus verständlich, wie das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) in seiner gestrigen Wirtschaftsprognose für die sogenannten MOSOEL-Staaten (Mittel-, Ost- und Südosteuropa) darlegt. Die Analyse nämlich zeigt, dass etwa die 102.000 in Großbritannien lebenden Letten 5,5 Prozent der im Herkunftsland beschäftigten Bevölkerung ausmachen. Bei den 137.000 „britischen“ Litauern beträgt das Verhältnis knapp unter fünf Prozent. Würde Großbritannien diese zurückschicken, was dessen Politiker ersten Aussagen zufolge nicht vorhaben, wäre das ein schwerer Schlag für den Arbeitsmarkt der Herkunftsländer. Am meisten Arbeitsmigranten kommen übrigens aus Polen – und zwar 790.000. Im Verhältnis zu der in Polen beschäftigten Bevölkerung sind das aber nur zweieinhalb Prozent.
Kein dramatisches Bild ergeben die Handelsbeziehungen der MOSOEL-Staaten mit Großbritannien; einige Staaten wie Polen, die Türkei, Slowakei und Tschechien liefern immerhin über fünf Prozent ihrer Güterexporte dorthin.

Heterogener MOSOEL-Raum

Lässt man den Brexit einmal außer Acht, so sei laut WIIW davon auszugehen, dass die Wirtschaft in den MOSOEL-Staaten in den Jahren 2016 bis 2018 jeweils um die drei Prozent wächst. Im Vergleich mit dem durchschnittlichen Wachstum der Eurozone sind das um ein bis 1,5 Prozentpunkte mehr. Einzelne Staaten wie Rumänien (plus 4,0 Prozent 2016) stechen dabei heraus. Auch Polen und die Slowakei befinden sich etwas über dem Schnitt. Andererseits haben die Slowakei mit zehn Prozent und Kroatien mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit zu kämpfen, was im Falle der Slowakei dem Eurozonen-Schnitt entspricht, aber deutlich über dem Schnitt mittel- und osteuropäischer Staaten liegt.

Deutlich schlechter geht es den Westbalkanstaaten, die zwar heuer 2,6 Prozent BIP-Wachstum, aber eine Arbeitslosenquote von 21,0 Prozent zu erwarten haben.
Das WIIW betont, dass der insgesamt bescheidene Aufschwung von drei Prozent vor allem in den mittel- und osteuropäischen Staaten vom Haushaltskonsum bestimmt werden wird. Damit überrundet er die EU-geförderten Investitionen: „Dort wird der Konsum voraussichtlich die EU-geförderten Investitionen als wichtigen Wachstumsfaktor überholen“, so das Institut.

Österreich bleibt Profiteur

Das größte Problem für die MOSOEL-Staaten sei laut WIIW aber immer noch die Dynamik in der EU. Und hier macht das Institut als „größten Bremsklotz“ die „rigiden EU-Fiskalregeln“ aus: Es brauche „koordinierte öffentliche Investitionen“.

Seit den Zeiten der Wende hat gerade Österreich vom Aufholbedarf in den Reformstaaten des MOSOEL-Raums profitiert. Österreich sollte laut WIIW auch künftig von der Erholung profitieren. Dass diese Länder immer wettbewerbsfähiger werden, brauche Österreich nicht zu fürchten, denn „längerfristig steigen dort (MOSOEL-Raum, Anm.) die Löhne stärker als die Produktivität“.

Hoffnung besteht übrigens für die östlichsten Staaten am Rande Europas. Glaubt man der Prognose des WIIW, so hat die konfliktgebeutelte Ukraine die Talsohle durchschritten und kehrt bereits heuer auf einen schmalen Wachstumspfad zurück. Russland werde heuer zwar noch ein Minus von 0,8 Prozent erleiden, nächstes Jahr aber mit immerhin 1,9 Prozent zulegen. (est)

Auf einen Blick

Prognose. Laut dem Wiener Institut für Wirtschaftsvergleiche (WIIW) wird in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas die Wirtschaft 2016 bis 2018 jeweils um drei Prozent wachsen. Das sind um ein bis 1,5 Prozentpunkte mehr, als für die Eurozone erwartet wird. Dieser Aufschwung wird laut WIIW vor allem vom Haushaltskonsum bestimmt. Dieser überholt damit die EU-geförderten Investitionen als wichtigster Wachstumsfaktor. Noch offen sind die Auswirkungen des Brexit: Würde Großbritannien Arbeitskräfte aus der Region zurückschicken, wäre das dort ein schwerer Schlag für den Arbeitsmarkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)

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