Großbritannien: Wie tickt der neue Schatzkanzler?

Der neue Schatzkanzler, Philip Hammond, hält nichts von den rigorosen Sparplänen seines Vorgängers.
Der neue Schatzkanzler, Philip Hammond, hält nichts von den rigorosen Sparplänen seines Vorgängers.(c) REUTERS (PETER NICHOLLS)
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Philip Hammond will die Märkte beruhigen, die Wirtschaft stabilisieren und den Schuldenabbau verschieben. Die Herausforderungen sind gewaltig.

London. Mit Philip Hammond ist ein Mann in das Amt des britischen Schatzkanzlers eingezogen, der sich selbst einmal als „beruhigend langweilig“ bezeichnet hat. Neben einem feinen Sinn für Humor bringt er viel Wirtschaftserfahrung als ehemaliger Geschäftsmann in das zweitwichtigste britische Regierungsamt. Diese wird er brauchen, denn nach der Entscheidung der Briten für den EU-Austritt warten gewaltige Herausforderungen.

Nun signalisierte Hammond einen Kurswechsel. Hatte Vorgänger George Osborne das Haushaltsdefizit in einem knallharten Sanierungskurs reduziert, gibt Hammond eine neue Linie vor: Mit dem EU-Austritt trete die britische Wirtschaft in eine „neue Phase“ und daher sei es notwendig, „Ausmaß und Geschwindigkeit“ des Sparkurses „neu auszurichten“.

Hammond sprach davon, dass die Brexit-Entscheidung eine „abkühlende Wirkung“ auf die britische Wirtschaft gehabt habe. Dafür mehren sich die Hinweise: Das Pfund ist gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit 31 Jahren gefallen, die Nachfrage nach neuen Immobilien ist auf denselben Stand wie in der Finanzkrise 2008 gesunken, und die wirtschaftliche Zuversicht der Bürger verzeichnete den schwersten Einbruch seit 21 Jahren.

Riesiges Außenhandelsdefizit

Das ist umso bedeutender, als der private Konsum der wichtigste Konjunkturmotor Großbritanniens ist. Eine Abwärtsspirale ist damit in Gang gekommen, da das Land in hohem Maße von Importen abhängig ist und das höchste Außenhandelsdefizit seiner Geschichte in der Höhe von 6,9 Prozent des BIPs verzeichnet: „Die Kursverluste des Pfunds werden Importe teurer machen. Das bedeutet, dass die Inflation nach oben geht und die Menschen weniger Spielraum für Ausgaben haben werden. Das Wachstum wird sich verlangsamen, die Löhne werden geringer steigen. Das ist schlecht für den Staatshaushalt, weil damit die Steuereinnahmen fallen werden“, erklärt der Ökonom Jamie Murray, der in der Vergangenheit für die Regierung arbeitete.

Schon vor dem Referendum hat die Regierung ihre Wachstumsprognose für 2016 von 2,4 Prozent auf 2,0 Prozent zurückgenommen. Nach müden 0,4 Prozent im ersten Quartal wird für das zweite eine weitere Verlangsamung erwartet.

Radikale Schritte schloss Hammond aus, darunter auch das von Osborne für den Fall eines Brexit angedrohte „Strafbudget“ mit Einsparungen von 30 Mrd. Pfund. Die Abkehr von den Sparplänen Osbornes und die Aufgabe des Ziels eines Haushaltsüberschusses schaffen Spielraum für Konjunkturprogramme. Die Bedürfnisse des Landes sind gewaltig, sowohl im Verkehr als auch in der Infrastruktur und im Wohnbau. Hammonds Kabinettskollege Sajid Javid, soeben vom Wirtschafts- zum Regionalminister degradiert, spricht öffentlich von einem 100-Mrd.-Pfund-Programm für fünf Jahre.

Dafür hätte Hammond die Unterstützung von Premierministerin Theresa May. Sie machte klar, dass ihre Regierung „für die vielen und nicht die wenigen“ da sein werde. Ein Konjunkturprogramm wird aber selbst bei niedrigen Zinsen Geld kosten, und bald wird auch Hammond vor der Entscheidung stehen, die Steuern zu erhöhen oder die Ausgaben zu kürzen.

Eine wesentliche Rolle dabei wird die Zukunft der britischen Finanzwirtschaft spielen, die 25 Prozent des BIPs erwirtschaftet. „Wir müssen den Zugang unserer Finanzdienstleister zum gemeinsamen Markt der EU sicherstellen“, betonte Hammond. Schließlich ist London der wichtigste Handelsplatz für die gemeinsame Währung. Assets im Wert von 1,2 Billionen Euro werden hier im Auftrag europäischer Investoren gemanagt. Verliert das Land die sogenannten Passporting Rights, wäre der Schaden unermesslich.

An ungelösten Problemen übernimmt Hammond auch die mangelhafte Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der britischen Wirtschaft. Zwischen dem Millionärsbanker aus der Londoner City und dem Zero-Hours-Lohnsklaven in Rochdale klafft eine riesige Lücke. Unter Osborne ist sie größer geworden. Ob er sie verkleinern kann, muss Hammond erst zeigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2016)

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