Vom ostdeutschen Märchen zum Krimi

An der Absturzstelle des Kleinflugzeugs
An der Absturzstelle des Kleinflugzeugsimago/xcitepress
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Thomas Wagner ist tot. Die Hintergründe seiner letzten Reise sind dubios. Seine Internetfirma Unister musste Insolvenz anmelden. Die Geschichte des Start-up-Wunderkinds liest sich wie ein Krimi.

Im Jahr 2002 war die Welt in Leipzig noch in Ordnung. Damals wollte ein BWL-Student namens Thomas Wagner gemeinsam mit Studienfreunden mit Internetportalen das große Geld machen. Zu einer Zeit, als TUI, Neckermann und Co. noch auf Hochglanzprospekte setzten, traf er mit seinen Onlinereiseportalen einen Nerv. Unister – vor allem bekannt für Marken wie fluege.de und ab-in-den-urlaub.de – wurde zum ostdeutschen Start-up-Wunder. Das Unternehmen stieg bald zum größten deutschen Online-Reisevermittler auf – größer als Riesen wie Thomas Cook. Der damals 25-jährige Wagner aus dem Dessauer Plattenbau wurde als Wunderkind der Gründerszene gefeiert.

Vergangene Woche stürzte Wagners Privatjet über Slowenien ab. Er befand sich auf dem Heimweg von einem Treffen mit einem angeblichen Investor in Venedig. Die Reise soll sein letzter von vielen Versuchen gewesen sein, der maroden Unister-Holding mit einem Kredit zusätzliche Lebenszeit zu kaufen. Der Tod des Gründers schien den Kampfgeist aus den verbliebenen Gesellschaftern gesaugt zu haben: Am Montag verkündeten sie die Insolvenz. Bis dato folgten drei Tochterfirmen dem Schicksal der Mutter.


„Bis hin zur Geldwäsche“. Die Umstände des tödlichen Unfalls lesen sich wie ein Krimi. Mehr als eine Million Euro sollen als Kreditanzahlung mit Wagner den Flug nach Italien angetreten haben. Die Ermittler fanden an der slowenischen Absturzstelle wiederum einen Koffer mit 10.000 Schweizer Franken. Medienberichte mehren sich, der seriöse italienische Geschäftspartner sei nicht so seriös gewesen und der Unister-Chef könnte auf einen sogenannten Rip-Dealer hereingefallen sein, der ihm bei Austausch der Geldkoffer bündelweise Falschgeld untergeschoben hat. Bestätigt ist, dass Wagner vor seinem Tod in Venedig Anzeige wegen Betrugs erstattet hat. Der ehemalige Unister-Finanzchef und Mitgründer Daniel Kirchhof sprach gegenüber der Deutschen Presse-Agentur von „vielen Fragen, die noch zu klären sind“. Und von kriminellen Handlungen „bis hin zur Geldwäsche“.

„Was da passiert ist, ist skurril“, wird Kirchhof zitiert, der selbst Strafanzeige gegen unbekannt wegen Untreueverdachts erstattete. Verfolgt man die Unternehmensgeschichte zu ihren Anfängen zurück, scheinen die filmreifen Vorgänge, in denen nun die Sächsische Generalstaatsanwaltschaft ermittelt, bloß wie das i-Tüpfelchen. Denn längst war die Welt in Leipzig nicht mehr heil. Dem 38-jährigen Gründer und alleinigen Firmenchef drohte nicht nur die Pleite seiner Unister-Holding, sondern auch einer der größten Wirtschaftsstrafprozesse in Sachsens jüngster Geschichte. Im April wurde das Verfahren aufgrund der Ausweitung der Anklageschrift vom Landgericht Leipzig verschoben. Dem auf unbestimmte Zeit vertagten Prozess werden nun nur drei statt vier Beklagte auf der Anklagebank beiwohnen.

Der Reihe nach: Der Beginn vom Ende des ostdeutschen Unternehmermärchens kam 2012. Unister, das bei Konsumentenschützern, Kunden und Konkurrenten für seine Geschäftspraktiken in keinem guten Licht steht, wurde Ende 2012 Schauplatz einer groß angelegten Razzia. Wagner und zwei weitere Manager wanderten für mehrere Tage in Untersuchungshaft.

Das Reisevermittlungsgeschäft ist mit Margen von höchstens zehn Prozent ein hartes Pflaster. Nicht zuletzt war es der Start-up-Gründer aus dem Dessauer Plattenbau, der der Branche mit seinen Portalen mehr Transparenz und damit auch den schärferen Wettbewerb beschert hat. Das eigene Vorankommen im Kampf um die Marktanteile fußte aber wohl auch darauf, die Grenzen der Transparenz und der Gesetzeslage möglichst weit zu interpretieren. Fluege.de wurde unter Konsumentenschützern bald zum Synonym für die Kunst, Servicegebühren möglichst gekonnt zu verschleiern.

Der Vorwurf der Ermittler im Winter 2012 lautete auf Steuerhinterziehung in Millionenhöhe und illegale Versicherungsgeschäfte. Das Internetunternehmen hatte einen Stornoschutz als Zusatzprodukt zu den vermittelten Reisen deklariert, wofür lediglich Umsatzsteuer anfiele. Die Staatsanwaltschaft wiederum sah darin eine Reiserücktrittsversicherung. Unister hatte aber weder eine Versicherungslizenz, noch führte es die entsprechende Versicherungssteuer ab. In dem Fall stand Rechtsmeinung gegen Rechtsmeinung. Anklagen und U-Haft wirbelten viel Staub auf. Reiseveranstalter wie TUI und Thomas Cook rückten von Unister ab, boten aber bald wieder reumütig ihre Hotels und Flüge über die Seiten des Platzhirschs an.


Mammutprozess in der Warteschleife.
Doch die schiefe Optik, die dem Internetunternehmen anhaftet, war nicht nur diesem Einzelfall geschuldet. Ab 2015 bereiteten die Dresdner Staatsanwälte eine weit größere Anklage vor. Im Visier hatten sie die umstrittene Praxis des sogenannten Herunterbuchens. Dabei zahlen Kunden mehr als nötig, weil gesunkene Flugpreise nicht an sie weitergegeben werden. Wagner, Kirchhof und zwei weitere Kompagnons wurden wegen banden- und gewerbsmäßigen Computerbetrugs in mehr als 87.000 Fällen angeklagt.

Doch die Leipziger hatten nicht nur mit der Staatsanwaltschaft zu kämpfen. In der Chefetage entbrannte ein interner Machtkampf, der Manager nach Manager das Handtuch werfen ließ. Wagner, der als Eigenbrötler bekannt war, hatte sich mit Mitgründer Kirchhof überworfen. Jener Mann, der nun Anzeige gegen unbekannt im Italo-Krimi erhob, rechnete vergangenen Sommer öffentlich mit seinem Weggefährten ab. Wagner wollte ihn aus dem Unternehmen klagen. Kirchhof antwortete mit Abhörvorwürfen.


2000 Mitarbeiter zu Spitzenzeiten. Unister hat in Start-up-Manier von Beginn an extrem expandiert. Man kaufte reihenweise Domains auf, versammelte mehr als 40 Internetportale unter einem Dach. Zu Spitzenzeiten beschäftigte Unister an die 2000 Mitarbeiter. Wagner war bekannt dafür, einer der besten Google-Kunden zu sein. Jährlich sollen 100 Millionen für Werbeeinschaltungen an den amerikanischen Suchmaschinenbetreiber geflossen sein. Daneben ließ man sich den Fernsehauftritt mit Testimonials wie Michael Ballack und Reiner Calmund einiges kosten – von Marketingausgaben im hohen zweistelligen Millionenbereich ist die Rede.

Aus Branchenkreisen heißt es, man habe sich immer gefragt, wie Unister so viel Geld ausgeben konnte. 2014 tauchten die ersten Zweifel über die Liquidität des Shootingstars auf. Das „Handelsblatt“ deckte auf, dass das Unternehmen tief verschuldet war. Seitdem sind die Verbindlichkeiten stetig gestiegen – die „Bild“ berichtete zuletzt von einem Schuldenberg von 110 Millionen Euro. Ein erster Verkaufsversuch der Reisesparte Unister Tavel, deren Wert auf bis zu 900 Millionen Euro geschätzt wurde, scheiterte. Dieser Rettungsversuch scheint nun in weite Ferne gerückt. Am Donnerstag meldete Unister Travel, die die Portale ab-in-den-urlaub.de und fluege.de betreibt, die Folgeinsolvenz an. 14.000 Kunden haben noch bis vergangenen Dienstag Urlaubsgutscheine der Unister-Töchter gekauft. Ihre Reiseträume sind jetzt Teil der Konkursmasse.

Wie es nach dem Tod Wagners mit der insolventen Firma und ihren noch rund 1100 Mitarbeitern weitergeht, ist ungewiss. Als Großgläubiger wird der Traditionsversicherer Hanse Merkur genannt, dem Unister 40 Millionen schulden soll. Dem renommierten Insolvenzverwalter Lucas Flöther dürfte mittlerweile aufgegangen sein, dass er sich eines besonders harten Falls angenommen hat. Er gab sich gegenüber der deutschen „Wirtschaftswoche“ optimistisch, sprach von einer „hohen zweistelligen Zahl potenzieller Investoren“.

Flöther betonte aber auch, das Ganze würde sich eher „nach einem Krimi als nach einem klassischen Insolvenzfall“ anhören. Womit der Mann nicht ganz falsch liegen dürfte.

In Kürze

Venedig. Laut mehreren Medienberichten soll Unister-Chef Thomas Wagner (im Bild) einen Investor in Venedig getroffen haben, um sein insolvenzgefährdetes Unternehmen mit einem Kredit zu retten. Diese hätten ihm bei der Übergabe aber Falschgeld untergeschoben.

Auf dem Rückweg nach Leipzig verunglückte Wagner in seiner Privatmaschine über Slowenien.

Unister und drei Tochterfirmen meldeten diese Woche Insolvenz an.

Dresden. Die sächsische Generalstaatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugs- und Untreueverdachts. Wagner soll mehr als eine Million als Anzahlung im Gepäck gehabt haben. Von dem Geld fehlt jede Spur.

Leipzig. Gleichzeitig ist am Landgericht Leipzig ein Wirtschaftsstrafprozess gegen Wagner und weitere Unister-Manager wegen Steuerhinterziehung, illegaler Versicherungsgeschäfte und Computerbetrugs anhängig.
DPA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2016)

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