Industrie: „Fühlen uns von der Politik gehört“

Auf der Hannover Messe besuchte US-Präsident Barack Obama mit Kanzlerin Angela Merkel den ABB-Stand. Darauf ist ABB-Chef Ulrich Spiesshofer noch immer ziemlich stolz.
Auf der Hannover Messe besuchte US-Präsident Barack Obama mit Kanzlerin Angela Merkel den ABB-Stand. Darauf ist ABB-Chef Ulrich Spiesshofer noch immer ziemlich stolz.(c) REUTERS (WOLFGANG RATTAY)
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Ulrich Spiesshofer, Chef des Schweizer Industriekonzerns ABB, spricht über die Mentalität der Beschäftigten und die Zusammenarbeit mit der Politik in der Schweiz.

Zürich/Wien. Die Schweiz wird gern als Best-Practice-Beispiel genannt – bei vielen Themen: Föderalismus, direkte Demokratie, Steuerquote zum Beispiel. 2013 initiierte eine Schweizer Gewerkschaft eine Abstimmung über die Ausweitung des Jahresurlaubs von vier auf sechs Wochen. 67 Prozent der Schweizer votierten dagegen. Die Arbeitnehmer stellten die Wettbewerbsfähigkeit ihres Landes klar über ihren persönlichen Vorteil.

Die Schweizer legten damit eine Mentalität offen, die sich nicht nur an Abstimmungstagen zeigt. Sie kommt Unternehmen auch im Alltag entgegen, sagt Ulrich Spiesshofer. Der 52-jährige Deutsche ist seit 2013 Vorstandschef der ABB, des mit weltweit rund 135.000 Mitarbeitern größten Industriekonzerns der Schweiz. Auch global ist die ABB einer der führenden Konzerne für Energietechnologie und Automatisierungstechnik. „Das Schweizer Wirtschaftssystem basiert extrem auf Eigenverantwortung. Unter Schweizer Arbeitnehmern gibt es eine gewisse Verantwortung, Beschäftigung sicherzustellen“, sagt Spiesshofer. „Die Mitarbeiter verstehen: Ich muss eine Gegenleistung bringen, um Beschäftigungssicherheit zu haben.“

Deutlich habe sich das gezeigt, nachdem 2008 Lehman Brothers kollabiert war und die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise losgetreten hatte. In der Folge erstarkte der Franken: Seinerzeit gab es für einen Franken 1,55 Euro. Mittlerweile hat sich der Kurs nahezu angeglichen. „Und trotzdem haben wir bei ABB die Beschäftigten gehalten“, so Spiesshofer. Daran hätten die Mitarbeiter einen großen Anteil. „Sie sind von sich aus gekommen und haben gefragt, was sie tun können. Und haben eigene Ideen eingebracht. Wir haben ihnen gesagt: Wir wollen die Beschäftigung sichern, aber wir müssen das Unternehmen völlig umbauen. Das haben wir auch gemacht. Aber nicht gegen unsere Mitarbeiter, sondern mit ihnen gemeinsam.“

„Viele Tätigkeiten verschwinden“

Zu diesem Umbau gehört ein umfangreiches Sparprogramm. Denn die ABB kämpft mit einem anhaltenden Einnahmenrückgang. Im ersten Quartal sank der Gewinn im Vorjahresvergleich um fast ein Drittel auf 406 Mio. Dollar, der Umsatz schrumpfte um fünf Prozent auf 8,68 Mrd. Dollar. Der Auftragseingang sank um acht Prozent auf 8,3 Milliarden Dollar. In Zeiten wie diesen kommen dem Konzern Höhepunkte wie ein Treffen mit US-Präsident Barack Obama sehr gelegen. Auf der Hannover Messe, der bedeutendsten Industriemesse der Welt, besuchte Obama im April für über sechs Minuten den ABB-Stand. Und ließ sich dort den „Smart Sensor“ zeigen: Einen Sensor, der an Motoren angebracht wird und über das Internet seine Befindlichkeit mitteilt – und wann er gewartet werden muss. So sollen Ausfallzeiten reduziert und Energie gespart werden.

Die ABB soll sich laut Spiesshofer künftig noch viel mehr mit solchen Dingen beschäftigen: Auch die Ausrichtung auf Automatisierungstechnik ist Teil des Konzernumbaus. Dass die zunehmende Automatisierung von Maschinen in der Bevölkerung Angst vor Jobverlust erzeugt, findet ABB-Chef Spiesshofer verständlich. „Es ist richtig, dass viele Tätigkeiten verschwinden. Aber es werden auch zahlreiche neue entstehen. Das Arbeitsvolumen ist in der Geschichte der Menschheit noch nie zurückgegangen, und das wird es auch in Zukunft nicht.“ Die Geschwindigkeit, mit der sich die Anforderungen an Arbeitskräfte verändern, sei aber so hoch wie nie.

Den Menschen diese Angst zu nehmen und in ihre Weiterbildung zu investieren sei die Aufgabe von Unternehmen und Politik. Die Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft in der Schweiz funktioniere gut, sagt Spiesshofer. Seit zwei Jahren gebe es einen runden Tisch, an dem Politik, Wirtschaft und Ausbildung beteiligt sind. Da würden regelmäßig „die großen gesellschaftspolitischen Themen“ besprochen. „Die Politik kommt aktiv auf uns zu, und wir fühlen uns mit unseren Anliegen gehört.“

Compliance-Hinweis:

„Die Presse“ war auf Einladung der ABB in der Schweiz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2016)

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