Die Welt schwimmt im Geld – das Wachstum bleibt aber schwach

Operations At The Bureau Of Engraving And Printing As The $1 Bill Is Printed
Operations At The Bureau Of Engraving And Printing As The $1 Bill Is Printed(c) Bloomberg (Andrew Harrer)
  • Drucken

China schwächelt, Europa müht sich ab, und selbst Amerika hat Probleme. Den Börsen ist das aber egal.

Wien. Die Märkte feiern trotz Brexit, Türkei-Krise und Terror in Europa immer neue Höchststände. Dahinter steckt die extrem lockere Geldpolitik der Zentralbanken, für die es in der Geschichte keine Beispiele gibt.

Die Zahlen sind astronomisch. Seit der Finanzkrise haben die Zentralbanken mehr als elf Billionen Dollar in den Markt gepumpt. Aktuell blasen die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan gemeinsam rund 180 Mrd. Dollar pro Monat aus den Notenpressen – mehr als je zuvor. Bankanalysten erwarten nach dem Brexit-Votum sogar noch eine weitere Ausweitung dieser Geldflut.

Dazu kommen extrem niedrige, oder sogar negative Zinsen. Inzwischen liegt die Rendite von Anleihen im Wert von rund 14 Billionen Dollar im negativen Bereich. Heißt: Anleger verlieren lieber Geld mit „sicheren“ Staatsanleihen, als in Papiere mit höherem Risiko zu investieren. Die Zentralbanken hoffen, dass sie der Realwirtschaft Zeit gekauft haben, um es den Märkten gleichzutun und sich zu erholen. Das geht aber nur zäh voran: Die Weltwirtschaft soll laut dem Institut für Höhere Studien (IHS) heuer um 3,2 Prozent wachsen. „Die Presse“ gibt einen Überblick über die wichtigsten Länder und Regionen.

Freilich: Der Brexit mischt die Karten noch einmal neu. In Großbritannien haben die Börsen zwar ihre Verluste wieder wettmachen können, das britische Pfund bleibt aber weiterhin überbewertet. Das sagt der Internationale Währungsfonds (IWF). Vor allem zusätzliche Handelsschranken (Tarife, Zölle), die im Zuge des britischen EU-Ausstiegs eingeführt werden könnten, sollen dem Pfund schaden. Die Auswirkungen des Brexit auf die Realwirtschaft sind noch unklar. Tatsächlich machte die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs vor dem Brexit-Votum einen soliden Eindruck. In den drei Monaten bis Ende Juni wuchs sie noch um 0,6 Prozent, was einem gesunden Jahreswachstum von 2,2 Prozent entsprechen würde. Kommendes Jahr droht laut Goldman Sachs aber sogar eine Rezession.

In den USA feiern die Börsen die größte Party: Dow Jones und Co. reiten derzeit von einem historischen Höchststand zum nächsten. Unterstützt wird dies bizarrerweise aber eher von einer Schwäche der Realwirtschaft. Denn die US-Notenbank Federal Reserve traut sich nach ihrem ersten Minizinsschritt im Dezember 2015 bisher keinen zweiten zu. Das Geld bleibt billig, die Börsenparty darf weitergehen. In der echten Welt herrscht aber Ernüchterung. So haben die Amerikaner im zweiten Quartal deutlich weniger Geld in Restaurants ausgegeben, was einige Analysten aufgrund historischer Erfahrungen sogar als Warnzeichen für eine anstehende Rezession interpretieren. Gleichzeitig stabilisieren sich aber andere Sektoren der US-Wirtschaft. Auch die Federal Reserve zeigte sich vergangene Woche optimistisch – aber nicht zuversichtlich genug, um die Zinsen zu heben. Die US-Konjunktur ist vergangenes Jahr um 2,4 Prozent gewachsen. Heuer soll das Wachstum laut JP Morgan nur noch 2,2 Prozent betragen.

China war am Anfang dieses Jahres noch das große Sorgenkind des Planeten – aber die dortigen Börsenturbulenzen haben sich wieder beruhigt. Die chinesische Währung, der Yuan, hat seit Jahresbeginn um rund sechs Prozent abgewertet. Das offizielle Wachstumsziel der kommunistischen Führung ist mit 6,5 bis 7,5 Prozent angegeben. Westliche Ökonomen gehen davon aus, dass das Wachstum heuer am unteren Ende dieser Bandbreite bleiben wird. Die chinesische Wirtschaft befindet sich in einer Übergangsphase. Die KP wünscht sich mehr Nachfrage aus dem Inland, um weniger vom Export abhängig zu sein. Dass das noch nicht perfekt klappt, zeigen aber die Zahlen des US-Getränkeriesen Coca-Cola. Zwar prangt auf den Flaschen und Dosen des Konzerns die weltweit bekannteste Marke überhaupt – trotzdem sind die Verkäufe in der China-Region zuletzt um zwei Prozent gefallen.

In Europa ist das Wachstum weiter schwach. Aber immerhin, es ist wieder da: Die Eurozone hat ihre Krise überstanden – zumindest ist das die Message von EU und EZB. „Wir gehen von einem Wachstum von 1,5 Prozent aus“, sagt der EU-Chefökonom von Goldman Sachs, Huw Pill: „Das ist sicher nicht beeindruckend – und der Brexit hat viel Unsicherheit reingebracht, was einige Investments und auch die fragile Erholung in der EU gefährdet.“ In Deutschland – und auch in Österreich – läuft die Konjunktur aber wieder einigermaßen stabil. Auch Italien soll, trotz Bankenkrise, wieder wachsen – wenn auch nur schwach. Osteuropa übertrifft die Eurozone in Sachen Wachstumsraten weiterhin, was der EU insgesamt hilft zusammenzuwachsen. Auch die Deflationsgefahr scheint gebannt, binnen drei Jahren will die EZB die Teuerung wieder knapp unter zwei Prozent sehen. Brexit, Bankenkrise, Flüchtlinge und zunehmend leider auch Terrorismus gefährden aber die Erholung.

Fallende Ölpreise und wirtschaftliche Sanktionen haben Russland vergangenes Jahr eine heftige Rezession beschert: minus 3,7 Prozent. Der Rubel ist gefallen wie ein Stein. Die Weltbank geht aber davon aus, dass die Rezession sich heuer abschwächen wird. Ab 2017 soll das Wachstum zurückkehren – egal ob es dann noch Sanktionen gibt oder nicht. Die Herausforderungen sind freilich enorm: 20 Millionen Russen leben unter der Armutsgrenze. Und eine weiterhin hohe Inflation drückt die Kaufkraft der Russen weiter. Ein Problem, denn ähnlich wie China muss auch Russland seine Wirtschaft neu strukturieren. Weg von den Rohstoffen, hin zu einer „modernen Struktur“, wie Premier Dimitri Medwedew es kürzlich ausdrückte.

Auch Brasilien steckt in einer schweren Krise. Es sei die „schlimmste Rezession seit den 1930er-Jahren“, schreibt der „Economist“. Das BIP pro Kopf sei zuletzt sogar schneller gefallen als in der Hyperinflationsperiode zwischen 1981 und 1992, sagt Goldman Sachs. Die Zahl der Arbeitslosen ist von sieben auf elf Millionen angestiegen. Dazu kommt eine politische Krise im größten Land Südamerikas. Interimspräsident Michel Temer muss das Land jetzt im Eiltempo umbauen. Staatsausgaben werden zusammengestrichen, nachdem sie in den vergangenen Jahren im Schnitt um sechs Prozent gestiegen sind – viel schneller als die Wirtschaft. Das kaputte Pensionssystem dürfte überhaupt demontiert werden. Auch die überbordende Bürokratie muss abgebaut werden. Selbst Privatisierungen werden nicht mehr ausgeschlossen.

Nigeria ist die größte Volkswirtschaft in Afrika – und befindet sich wegen der niedrigen Ölpreise in einer Rezession. Das könne aber auch eine Chance sein, sagt ein nigerianisches Wirtschaftsinstitut. Denn ähnlich wie Russland sei Nigeria nun gezwungen, Alternativen zum Ölgeld zu suchen. „Die Regierung muss jetzt nach innen schauen. Sich nur auf ein Produkt zu verlassen ist nicht nachhaltig“, sagte Yemi Osinbajo, der Vizechef des Institute of Strategic Management of Nigeria. Es gäbe durchaus Wachstumsregionen, in denen es auch nicht zu Unruhen käme, weil die Löhne bezahlt werden. Laut Weltbank wird das Wachstum in Nigeria heuer von 2,7 auf 0,8 Prozent fallen. Bis 2018 soll es aber auf fast vier Prozent steigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

International

Monte dei Paschi: EZB billigt Rettungsplan für älteste Bank der Welt

Das kriselnde italienische Geldinstitut Monte dei Paschi darf faule Kredite verkaufen.
Dunkle Wolken über Frankfurt
International

Bei einer Rezession droht die nächste Bankenkrise

Banken-Stresstest. Nicht nur italienische Geldinstitute, auch deutsche und französische Großbanken stecken in Problemen. Der Bankensektor ist noch nicht saniert, bei Rezession droht die nächste Krise.
Leitartikel

Wir erleben eine Krise der Politik, nicht eine der Banken

Der Bankenstresstest offenbart eine der größten Schwächen der europäischen Geldbranche: Die Konservierung schlechter Strukturen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.