Renzis riskantes Spiel mit Europa

Auch wenn sich Matteo Renzi als Retter Europas in Szene setzt: Zuhause wird es um Italiens Premier recht einsam.
Auch wenn sich Matteo Renzi als Retter Europas in Szene setzt: Zuhause wird es um Italiens Premier recht einsam. (c) APA/AFP/FILIPPO MONTEFORTE
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Der italienische Premier fordert einen „Neustart Europas“ und ein „Ende der Austerität“. Hintergrund: Ein Konjunkturprogramm vor dem Herbstreferendum soll sein politisches Überleben sichern.

Wien/Rom. Matteo Renzi weiß sich in Szene zu setzen. Der italienische Premier nutze sein Treffen mit der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, und Frankreichs Präsident, François Hollande, um eine neue Rolle zu proben: als Retter der EU. Am Grab eines Vordenkers der europäischen Einigung legte man auf der Insel Ventotente einen Kranz nieder. Dann galt es, „die Neuerfindung Europas von Grund auf zu diskutieren“. Die offiziellen Themen waren der Brexit und die Flüchtlingskrise. Aber italienische Medien feierten das Treffen als Ende der Sparpolitik. In Renzis Worten: „Europa ist die warmherzige Mutter unserer Werte, nicht der eiskalte Wächter von bürokratischen Regeln, die schwierig zu akzeptieren sind.“ Der Poesie entkleidet, bedeutet das: Italiens Regierungschef will die Prinzipien des Stabilitätspakts und der eben erst eingeführten Bankenunion über Bord werfen. Vor allem soll mehr Flexibilität eine hohe Neuverschuldung erlauben.

Tatsächlich steht Renzi zu Hause mit dem Rücken zur Wand. Die italienische Wirtschaft hat im zweiten Quartal eine Vollbremsung vollzogen. Nach drei Jahren Rezession hat sie sich seit Beginn des Vorjahres zaghaft erholt, nun kommt das Wachstum ganz zum Erliegen. Die schwere Krise des Bankensektors lässt sich nach der Flucht vieler Investoren nicht mehr unter den Tisch kehren. Renzi muss im Herbst ein Referendum überstehen. Eigentlich geht es um die Entmachtung des Senats, der in der Vergangenheit viele Reformen blockiert hat. Aber der als Erneuerer angetretene Premier verknüpfte das Votum, als er noch sehr populär war, mit seinem politischen Schicksal. „Ein Fehler“, wie er am Sonntag zugab. Um vor der Volksabstimmung noch einmal Stimmung zu machen, will Renzi ein großes, durch neue Schulden finanziertes Konjunkturpaket vorlegen – und das, obwohl die Staatsschuldenquote mit 135 Prozent einen neuen Rekordstand erreicht, der in Europa nur von Griechenland übertroffen wird.

Bankenunion als Zankapfel

Lang haben die Finanzmärkte diesen bedrohlichen Schuldenberg akzeptiert, ohne nervös zu werden. Denn Italien ist weniger als andere Volkswirtschaften von der unsicheren Gunst internationaler Investoren angewiesen. Inländische Banken und private Anleger halten einen großen Anteil der Staatsanleihen (ein wenig wie in Japan), viele Kleinanleger zudem Anleihen der Banken. Viele regionale Institute sind wiederum eng mit der Politik verflochten, die bisher im Notfall einsprang. So hielt sich das System lang in einer heiklen Balance.

Bis die EU-Bankenunion kam. Nach den neuen Regeln seit Jahresbeginn müssen zuerst Eigentümer und Anleihengläubiger einen Beitrag zur Rekapitalisierung eines maroden Instituts leisten. In den meisten EU-Staaten sind das großteils institutionelle Investoren, die solche Verluste leicht verkraften. In Italien aber geht es auch um Hunderttausende Kleinanleger und deren Altersvorsorge. Ihnen dürfte der Staat freilich auch nach den neuen EU-Richtlinie rasch unter die Arme greifen. Aber darauf will Renzi es nicht ankommen lassen. Denn schon bei der ersten echten Bankinsolvenz würde das politische Erdbeben ausbrechen – mit dem Palazzo Chigi, seinem Amtssitz, als Epizentrum.

Die Bankenkrise ist freilich nur das akute Symptom eines langsamen Niedergangs der italienischen Wirtschaft. Die schwere Bürde von 300 Mrd. Euro an faulen Krediten hat sich ganz allmählich angesammelt. Schon seit drei Jahrzehnten wächst die Produktivität langsamer als in fast allen entwickelten Volkswirtschaften. Heute ist die Wirtschaftsleistung nicht höher also zur Jahrtausendwende. Den Höchstwert des BIPs vor der Krise wird Italien nach den Prognosen des Internationalen Währungsfonds erst Mitte des kommenden Jahrzehnts wieder erreichen; die Eurozone als Ganzes sollte dann schon wieder 20 bis 25 Prozent darüber liegen.
Die tieferen Ursachen: Korruption, eine lahme Justiz und eine Bürokratie, die unternehmerische Initiative erstickt. Da wollen auch Renzis durchaus beherzte Reformen auf dem Arbeitsmarkt nicht recht greifen. Als es noch die Lira gab, konnte Italien eine schwächere Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertungen abfedern – weshalb die immer erfolgreichere Protestpartei Movimento Cinque Stelle nun gegen den Euro mobilmacht. Renzi aber ist ein Freund Europas, wenn auch nur als „warmherzige Mutter“. Vom „eisigen“ Fundament der Verträge, die diese Union zusammenhalten, hält er wenig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2016)

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