Die Globalisierung ist auf dem Rückzug

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Die Verflechtung der Weltwirtschaft nimmt ab, zeigen immer mehr Studien. Regionale Konkurrenten stoppen den weiteren Vormarsch westlicher Konzerne.

So kann man sich täuschen. Zwei Jahrzehnte lang sah es so aus, als ob die Weltwirtschaft nur mehr eine Richtung kenne: hin zu immer mehr Austausch und Verflechtung. Amerikanische Konzerne und das Kapital der Wall Street drangen bis in die letzten Winkel des Erdkreises vor. Die Öffnung der asiatischen Schwellenländer für den Welthandel holte Hunderte Millionen Menschen aus der bitteren Armut. Westliche Unternehmen verlagerten ihre Produktionen in Billiglohnländer und erzwangen so in ihrer Heimat einen oft schmerzhaften Strukturwandel.

Nun aber scheint sich das vermeintlich Unumkehrbare umzukehren: Die Globalisierung hat in den Jahren seit der Finanzkrise abgenommen. Der Welthandel wächst seither mit im Schnitt 2,5 Prozent pro Jahr langsamer als die globale Wirtschaftsleistung (mit 3,2 Prozent). Und das heißt: Die internationale Verflechtung geht zurück.

Weniger Investitionen.
Die deutsche „Welt“ hat diese Woche deshalb schon das „Ende der Globalisierung“ ausgerufen. Die Todesnachricht dürfte allerdings verfrüht sein. Anlass für die kühne Prophezeiung ist ein Index der deutschen DZ-Bank. Er beschränkt sich auf ein Indiz: die Direktinvestitionen der Unternehmen im Ausland, als „Träger der Globalisierung“. Die Daten aus 16 Industriestaaten (darunter auch Österreich) werden auf deren Wirtschaftsleistung bezogen. Auch wenn die Werte von Jahr zu Jahr stark variieren, legt die Entwicklung einen Schwanengesang nahe: Die Trendlinie zeigt eindeutig nach unten. Das ist aber nur ein Aspekt. Die Schweizer Großbank Credit Suisse bezieht weit mehr Faktoren ein. Auch in ihrer Analyse zeigt sich: Der Anteil der Vermögenswerte, die Großkonzerne im Ausland halten, ist deutlich zurückgegangen, von 26 Prozent im Jahr 2008 auf 18 Prozent vier Jahre später. Aber der Anteil der Umsätze, die sie im Ausland tätigen, steigt weiter an, wenn auch nicht mehr so steil wie vor der Krise.

„Sie wollen ihre Produkte weiterhin der ganzen Welt verkaufen, aber sie sind weniger bereit, in der Ferne zu investieren“, erklärt Studienautor Michael O'Sullivan der „Presse“. Das sieht er als Anzeichen dafür, dass die Welt etwas weniger globalisiert und viel „multipolarer“ wird. Das heißt auch: Die Dominanz des Westens, vor allem der USA, nimmt ab.

Darauf weist vieles hin: Weil beim weltweiten Abbau von Handelsbarrieren nichts weitergeht, schließen Länder bilaterale Abkommen ab. Von den USA dominierte globale Institutionen wie Weltbank und Währungsfonds bekommen Konkurrenz, etwa von der asiatischen Entwicklungsbank. Der Renminbi steigt in den erlauchten Kreis der Reservewährungen auf. Regionale Finanzzentren bilden sich heraus. Auch die Verbreitung der Demokratie ist gestoppt: Diktaturen wie China und gesteuerte Pseudo-Demokratien wie Russland und die Türkei sind auf dem Vormarsch – zumindest, solange sie wirtschaftlich erfolgreich sind. Besonders China erweise sich als „stärker ausgeprägter Pol“, der „ganz eigene Verhaltensweisen ausbildet“.

Mehr Risiko.
Warum aber schrauben vor allem westliche Konzerne ihre Auslandsinvestitionen zurück? Viele scheuen das steigende Risiko in den Schwellenländern. Brasilien ist durch die Rohstoff-Baisse in die Krise geraten. Bei Russland kommen die Sanktionen dazu. Chinas Wachstum bremst sich ein. Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank, sieht aber auch eine Sättigung: Jene Firmen, die von einer Verlagerung ihrer Produktion in Billiglohnländer profitieren, haben dies längst getan. Und mittlerweile steigt vielfach auch dort das Lohnniveau.

Aber nicht nur deshalb ist bei vielen westlichen Multis eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Sie sehen sich zunehmend regionaler Konkurrenz ausgesetzt. „Wir hatten enorme Größenvorteile, die nun auslaufen“, erklärt ein Manager eines internationalen Konsumgüterkonzerns, der nicht namentlich genannt werden will.

Als sich in den Neunzigerjahren die globalen Märkte öffneten und die Grenzen in Osteuropa fielen, „gingen wir mit viel Kapital und personellen Ressourcen hinein“. Dagegen kamen regionale Anbieter nicht an, viele verschwanden. „Wer aber überlebt hat, hat dazugelernt“ und seine „Fähigkeit geschärft, agiler auf Kundenbedürfnisse vor Ort einzugehen“. Zahlreiche westliche Konzerne aber setzen weiter unbeirrt auf global einheitliche Standards: überall die gleichen Maschinen, Technologien, Werbekampagnen. In einer multipolaren Welt aber werden die einzelnen Weltregionen selbstbewusster und schaffen Trends. Die Folge: „Die scheinbaren Kostenvorteile drehen sich um und werden zur Last.“

Wie geht es mit der Globalisierung weiter? Der politische Gegenwind steigt, vom Brexit bis zum Aufstieg Donald Trumps, der Amerikas Wirtschaft von der Konkurrenz aus dem Ausland abschotten will. In Europa erstarken populistische Parteien. Freihandelsabkommen werden als Teufelswerk hingestellt, unter großem Beifall von Teilen der Medien und Politik. O'Sullivan warnt zwar auch vor Renationalisierung und einem „schleichenden Protektionismus, der sich breitmacht“. Aber: Vom düsteren Szenario eines „Endes der Globalisierung“ sei die Welt „weit entfernt“, schrieb er vor knapp einem Jahr. Und dieses Fazit habe sich bis heute „nicht wirklich verändert“.

Für eine Revolution anderer Art aber könnte die weitere Automatisierung der Fabriken sorgen. Adidas stellt ab Herbst wieder einen kleinen Teil seiner Laufschuhe in Deutschland her. Freilich nicht von Menschenhand gefertigt, sondern von Robotern. Es könnte der Beginn eines Rückzugs aus jenen Ländern sein, in die der deutsche Pionier der Globalisierung seine Produktion einst verlegt hatte, von Indonesien bis Mexiko.

Wer aber ist in der Lage, marktfähige Roboter herzustellen? Das Wissen und die Mittel dafür sind immer noch in der westlichen Welt konzentriert, betont die Credit Suisse. Die Industriestaaten könnten die schlauen Maschinen in aller Welt verkaufen und zugleich ihre Fertigungen heimholen.

Wenn es dazu kommt, wird es „die ökonomische Weltkarte dramatisch verändern“ – zum Vorteil der Länder mit „wenig Arbeitskraft, aber viel Kapital“. Auch wenn die Globalisierung sich abschwächt, ist sie immer noch für so manche Überraschung gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2016)

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