Das digitale Sparprogramm

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Bitcoins wurden zwar erfunden, um Banken überflüssig zu machen. Doch die Geldhäuser heulen lieber mit den Wölfen und nutzen die Idee hinter der Internetwährung als Rettungsanker.

Reden wir über die Blockchain. Hallo? Sind Sie noch da? Gut so, immerhin spitzen gerade auch die Bankvorstände Ihres Vertrauens die Ohren. Denn sechs Wochen nach dem Zusammenbruch der Lehmann Brothers im Herbst 2008 erlebte ihre Branche erst den wirklichen GAU. Am 31. Oktober veröffentlichte Satoshi Nakamoto die Software und das Manifest zu Bitcoins, einer digitalen Währung, dazu gebaut, Banken und Notenbanken überflüssig zu machen. Die längste Zeit reichte es den Bankern, Witze darüber zu reißen, dass Bitcoins ohnedies nur dafür gut seien, um Drogen, Waffen oder Auftragskiller in den dunklen Ecken des Netzes zu kaufen.

Heute, acht Jahre später, ist alles anders. Egal, ob in Frankfurt, London, Zürich oder New York. Die großen Geldhäuser der Welt sind im Blockchain-Fieber. Sie haben die Kraft dieser Technologie, die auch hinter den Bitcoins steht, für sich entdeckt – und wollen sie beherrschen. Wie selbstverständlich suchen gut situierte Anzugträger seither auf Finanz-Konferenzen die Nähe junger Internetgründer. Vier Großbanken sind seit dieser Woche einen entscheidenden Schritt weiter: die Deutsche Bank, die schweizerische UBS, die spanische Bank Santander und das amerikanische Geldhaus Bank of New York Mellon wollen selbst eine digitale Währung schaffen, um damit untereinander zu handeln und so zig Milliarden Euro an Kosten zu sparen.


Wie soll das funktionieren? Der Schlüssel ist auch hier die sogenannte Blockchain. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich dabei um eine Art digitalen Kontoauszug, auf dem alle Transaktionen fälschungssicher in einer langen Kette gespeichert werden. Da diese Daten auf den Rechnern aller Teilnehmer gleichzeitig abgelegt werden und damit öffentlich einsehbar sind, ist es de facto unmöglich, sie heimlich zu manipulieren. Jeder Eingriff würde zu einem neuen, gut sichtbaren, Glied der Kette.

Die wohl bekannteste Blockchain speichert die Geschichte aller 15,8 Millionen Bitcoins, die derzeit in Umlauf sind. Aber die Technik hat sich längst von der virtuellen Währung emanzipiert. Denn nicht nur Bitcoins lassen sich so schneller, billiger und sicher handeln. Auch wer Aktien oder Strom kauft, wird bald ohne Broker oder Energieversorger auskommen.

Bitcoin wird vielleicht eine Kuriosität bleiben. Die Blockchain hingegen hat das Zeug dazu, die Bankenwelt in ihren Grundfesten zu erschüttern. Denn ihr größtes Gut, das Vertrauen der Menschen, die ihr Geld hier deponieren, gibt es plötzlich im Internet zu einem Bruchteil der Gebühren, die klassische Banken ihren Kunden dafür abverlangen. Die traditionellen Banken „müssen etwas tun, sonst stecken sie tief im Schlamassel“, sagt etwa Felix Hufeld, Chef der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, beim Frankfurt Financial Summit.


Wie reagieren die Notenbanken? Auch der Internationale Währungsfonds ist inzwischen überzeugt, dass die Technologie zwar gebaut worden sei, „um Banken zu vermeiden“, diesen heute aber „große Vorteile“ bringen könne. Aktien könnten mittels Blockchain zugeteilt werden, Broker wären mit einem Schlag überflüssig. Ähnliches gilt auch für alle anderen Transaktionen – und ihre bisher notwendigen menschlichen Zeugen – im Bankwesen. So könnte aus der einstigen Bedrohung Bitcoin letztlich ein gewaltiges Sparprogramm für die Banken werden, das der Branche erst das Überleben sichert.

Notwendig hätten viele Geldhäuser die digitale Sanierung allemal. Die operativen Erträge der sieben größten europäischen Investmentbanken sind 2015 von 73 auf 63,75 Milliarden Euro geschrumpft, errechnete das Analysehaus Tricumen. Unterdessen stiegen die Kosten in den vergangenen acht Jahren um ein starkes Fünftel. Radi Khasawneh, Berater bei Boston Consulting, sieht die Finanzbranche am Scheideweg. Herkömmliche Sparmaßnahmen seien erschöpft: „Es muss etwas Größeres passieren.“

Das lassen sich die Unternehmen nicht zweimal sagen. 50 Großbanken haben sich im sogenannten R3-Konsortium zusammengetan, um mit „intelligenten Verträgen“ auf Blockchain-Basis zu experimentieren. Sie sollen künftig Notare, Anwälte oder Buchhalter zumindest zum Teil ersetzen können. Auch zahlreiche Fintechs, die digitalen Herausforderer der alten Granden, koalieren mittlerweile mit ihnen. Und auch die Notenbanker zerbrechen sich den Kopf darüber, was es bedeutet, wenn große Banken ernsthaft daran denken, eigene Währungen zu erschaffen. Das World Economic Forum (WEF) schätzt, dass die Blockchain die Arbeit in neun von zehn Zentralbanken verändern wird. Schließlich will das Konsortium rund um die UBS ihre digitale Währung schon 2018 auf dem Markt haben. Anders als die Anhänger der Kryptowährung Bitcoin zielen die Großbanken aber nicht darauf ab, die Zentralbank zu umgehen. Um Betrug zu verhindern und keine Parallelwährung zu schaffen, soll für Transaktionen mit der sogenannten Utility Settlement Coin Bargeld bei den Zentralbanken hinterlegt werden. Schon im kommenden Jahr werden 80 Prozent aller Geschäftsbanken ähnliche Projekte am Start haben, so das WEF. 2027 soll ein Zehntel der weltweiten Wirtschaftsleistung in Blockchains gespeichert sein. Für Bankkunden bedeutet das im besten Fall, dass Überweisungen nicht mehr Tage, sondern maximal Minuten dauern und dass die Kontoführung um ein Zehntel zu haben ist.


Die Vertrauensmaschine stottert. Aber jeder Hype hat seine Schattenseiten. Das digitale Geld per se kann zwar nicht gehackt werden, gestohlen werden kann es jedoch schon. Erst kürzlich verschwanden etwa digitale Münzen im Wert von 58 Millionen Euro von der Bitcoin-Börse Bitfinex. Die Angreifer nutzten eine Lücke im Sicherheitsnetz der Börse selbst. Ähnliche Schlagzeilen gab es rund um die Dezentrale Autonome Organisation, ein Investmentfonds, der mittels Blockchain gut 160 Millionen Dollar einsammeln konnte. Auch hier kamen Millionen abhanden. Die Macher reagierten mit einem Tabubruch und änderten die angeblich fälschungssichere Kette nachträglich, um das Geld zu halten.

Die „Vertrauensmaschine“, wie der britische „Economist“ die Blockchain nennt, hat also Macken. Sie ermöglicht es, dass Unbekannte ohne Mittelsmann schnell und relativ sicher ins Geschäft kommen können. Was noch fehlt, ist das Vertrauen darauf, dass nicht letztlich doch alles in den Händen eines 16-jährigen Hackers landet.

Lexikon

Blockchain ist eine Art digitaler Kontoauszug, der alle Transaktionen genau erfasst und sie dezentral auf vielen Rechnern verteilt speichert. Die Information ist damit offen zugänglich und de facto nicht manipulierbar.

Bitcoin ist der Name der virtuellen Währung, hinter der die wohl bekannteste Blockchain steht. Wer mit Bitcoins bezahlt, kann das anonym und beinahe gebührenfrei tun. Teure Mittelsmänner, wie etwa Banken oder Kreditkartenfirmen, entfallen. Die sichere Abwicklung garantiert allein die Blockchain.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2016)

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