Börsianer wittern Morgenluft

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Defensive Aktien standen jahrelang in der Gunst der Anleger. Zuletzt hat sich das Blatt gewendet. Nun haben Industrietitel die Nase vorn - bloß, wie lang noch?

In Krisenzeiten sind sie das Ass im Ärmel eines jeden Investors: defensive Werte. Dabei handelt es sich um Aktien von Unternehmen, deren Geschäftsmodell nicht so stark von Konjunkturschwankungen abhängig ist. Nahrungsmittelhersteller fallen genauso in diese Rubrik wie Energieversorger oder Pharmakonzerne. Ihre Produkte werden meist dauerhaft nachgefragt, unabhängig von der wirtschaftlichen Situation.

Defensive Aktien genießen besonders seit der Finanzkrise einen guten Ruf. Auch weil es sich bei ihnen meist um brave Dividendenzahler handelt. In Zeiten niedriger Zinsen ein nicht zu unterschätzender Faktor. Seit Anfang 2008 haben sich defensive Aktien dramatisch besser entwickelt als zyklische Werte. Defensive Titel legten in diesem Zeitraum um rund 40 Prozent zu, während zyklische Papiere rund zwölf Prozent verloren. In diese Kategorie einordnen lassen sich jene Firmen, die sensitiv auf die wirtschaftliche Großwetterlage reagieren (etwa Industrietitel). In Aufschwungphasen entwickeln sich ihre Kurse dafür besser.

Doch seit Kurzem hat sich das Bild gedreht: Zyklische Titel ziehen an defensiven vorbei, wie Bloomberg-Daten zeigen. So hat der FTSE All-World Cyclical Index zur besten Zwei-Monats-Entwicklung seit 2012 angesetzt – und den FTSE All-World Defensive Index überholt. Seit Jänner legten konjunkturresistentere Werte (plus 1,4 Prozent) weniger stark zu als konjunktursensitive (plus sechs Prozent).

„Plötzlich verbessern sich die Unternehmensergebnisse, und da die Wirtschaft besser aussieht, hat man den Wunsch, etwas zyklischer zu werden. Die Positionierung war einfach über-defensiv“, sagt Andrew Cole von Pictet Asset Management zu Bloomberg. Weltweit haben Konjunkturindikatoren seit Anfang Juli die Erwartungen der Experten vielfach übertroffen. Der Surprise Index der Citigroup erreichte im August den höchsten Stand seit Februar 2014. Und auch die Unternehmen lieferten. Ihre Ergebnisse überraschten positiv. Einer Erhebung von BNP Paribas zufolge konnten zwei Drittel der europäischen Firmen die Schätzungen der Analysten toppen und auch in den USA waren Marktteilnehmer pessimistischer, als sie hätten sein müssen. Auf globaler Ebene mussten Experten ihre Vorhersagen ebenso korrigieren. Laut Citigroup haben Analysten erstmals seit zwei Jahren mehr Ergebnisprognosen angehoben als heruntergeschraubt.


Zu früh gefreut? Im FTSE Cyclical Index erlebten Unternehmen wie Toyota, Samsung, Schlumberger oder 3M heuer beachtliche Kurssteigerungen seit ihren jeweiligen Jahrestiefs. Toyota bekräftigte zwar seine Absatzprognose für das laufende Geschäftsjahr, doch der Gewinn wird sich bis Ende März wohl halbieren. Der starke Yen macht Ausfuhren für japanische Unternehmen teuer, der Brexit könnte dem Hersteller ein schwieriges Marktumfeld in den Industriestaaten bescheren. Die Aktie legte seit ihrem Tief trotzdem 26 Prozent zu.

Den Koreanern von Samsung haben wiederum die Aussicht auf das neue Smartphone Galaxy S7 und ein gutes zweites Quartal Rückenwind verliehen. Wie sich der aktuelle Verkaufsstopp des Geräts (infolge brennender Akkus) auf den Börsenkurs auswirkt, wird man erst kommende Woche sehen. Im schlimmsten Fall könnte ein Rückruf bis zu 1,3 Mrd. Dollar kosten. Für Samsung kommt die Nachricht zur Unzeit, weil es seinen Vorsprung gegenüber Apple verlieren könnte. Ein Rücksetzer an der Börse könnte einen Einstieg aber schmackhaft machen. Die Aktie hat sich seit Februar nämlich um über 50 Prozent verteuert.

Anteilseigner des Ölfeldservicekonzerns Schlumberger hatten bis dato ebenfalls Grund zur Freude. Die US-Firma hat schwierige Zeiten hinter sich, doch seit ihrem Jahrestief stieg der Kurs um rund ein Viertel. Zuvor waren die Titel allerdings stark abgestraft worden. Die Erholung des Ölpreises half dem Zulieferer. Dem gegenüber stehen defensive Aktien wie Novartis oder Nestlé, deren Kurse nur um rund 13 Prozent (auf Eurobasis) zulegten.

Doch wer glaubt, Industrietitel könnten die Oberhand gewinnen, muss vorsichtig sein. Viele zweifeln, ob die Erholung der Zykliker langfristig sein wird.

Ben Laidler von HSBC ist davon überzeugt, dass die bessere Performance der Zykliker eher auf dem Prinzip Hoffnung denn auf einer Verbesserung von Fundamentaldaten basiert. Zuletzt warnte der Internationale Währungsfonds, dass die Weltwirtschaft auch 2017 hinter dem langfristigen durchschnittlichen Wachstum zurückbleiben wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2016)

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