„Auch entwickelte Märkte sind gegen Risken nicht immun“

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Schwellenländeraktien haben sich nach dem Tief wieder erholt. Aviva-Spezialist Will Ballard, sagt, warum Optimismus angesagt ist.

Die Presse: Nach fünf Jahren Schwächephase haben sich Schwellenländeraktien wieder erholt. Was hat den Stimmungswandel ausgelöst?

Will Ballard: Zum einen haben sich die Ängste wegen des Wachstums in China etwas gelegt. Die Regierung hat Strukturreformen signalisiert. Wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wieder auf ihr traditionelles Wachstumsmodell von Kredit- und Anlageinvestitionen zurückgreift, wird das nicht ohne globale Auswirkungen bleiben. Auch die Rohstoffpreise haben angezogen. Zum anderen hat die US-Notenbank allzu voreilige Zinsschritte aufgeschoben und so die weitere Aufwertung des Dollars gestoppt. Ein schwächerer Dollar hilft den Schwellenländern, das Binnenwachstum anzukurbeln.

Bestehen in entwickelten Märkten derzeit nicht größere Risken als in Emerging Markets?

Der Grund, warum viele Schwellenländer eine höhere Risikoprämie verdienen, ist die politische Situation. Diese Wahrnehmung ist oft gerechtfertigt, denkt man nur an die Türkei nach dem Putschversuch oder Thailand mit dem Referendum für die Verlängerung der Militärregierung. Aber das Brexit-Votum in Großbritannien hat gezeigt, dass auch entwickelte Märkte gegen solche Risken nicht immun sind. Das ändert zwar nichts an den Risken in Schwellenländern, aber sie werden anders – sprich geringer – wahrgenommen.

Wo liegen die größten Gefahren?

China bleibt im Vordergrund. Die Frage ist, wie lang die Politik die derzeitigen Wachstumsraten aufrechterhalten kann, bevor sie die dringend benötigten Reformen implementiert. Das Kreditwachstum stützt kurzfristig das Wirtschaftswachstum, es beschleunigt aber den Weg zu dem Punkt, an dem sich China mit den übermäßigen Kredit- und Strukturungleichgewichten befassen muss. Die Auswirkungen des Kreditwachstums sind schon jetzt am spektakulären Anstieg der Immobilienpreise in Großstädten zu sehen.

China ist aber nicht das einzige Land, das Vorsicht gebietet?

In Brasilien wurde Präsidentin Rousseff ihres Amtes enthoben. Es gibt Anzeichen für eine Stabilisierung, das BIP ist im ersten Quartal nur leicht geschrumpft. Davor hat das Land eine der tiefsten Rezessionen durchlaufen. Dennoch steht die wirtschaftliche Entwicklung in keiner Relation zum 50-prozentigen Anstieg des brasilianischen Aktienmarkts seit Jänner. Natürlich bietet auch die Türkei Anlass zur Sorge, obwohl es dort gut geführte Unternehmen gibt, die mit einem großen Abschlag gehandelt werden. Die Zukunft Mexikos hängt vom Ausgang der US-Wahlen ab. Der Peso ist schwach.

In welchen Ländern sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?

Die indonesische Rupie hat sich stabilisiert und die Zentralbank hat die Zinsen gesenkt. Die Regierung drückt gerade eine Steueramnestie durch, die mehr Vermögen und Investitionen aus dem Ausland anziehen soll. Auch die inländischen Kredite nehmen zu. Dies öffnet die Tür für weitere wirtschaftliche Reformen. Ein weiteres positives Beispiel ist Indien. Der diesjährige Monsun ist deutlich vielversprechender als die Regenperioden der vergangenen Jahre. Dies sollte ländliches Wachstum und den Konsum im Land fördern, was sich wiederum positiv auf das BIP auswirkt. Die Änderung des Steuersystems durch die Vereinheitlichung der staatlichen Steuer ist ein Zeichen, dass sich die Dinge in die richtige Richtung entwickeln.

Was passiert in Russland?

Das Wachstum im Inland hat sich stabilisiert, nachdem sich der Rohölpreis erholt hat und viel vom wirtschaftlichen Druck durch die Währung genommen wurde. Im gesamten Emerging-Markets-Universum sind die Bewertungen günstig, der Rabatt beträgt etwa 30 Prozent gegenüber entwickelten Märkten. Die große Frage bleibt, wie die Situation in ein paar Jahren aussieht.

Werden die Schwellenländer die Industriestaaten wieder übertreffen?

Die Stimmung hat sich auf jeden Fall verbessert. Sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die Unternehmensgewinne zeigen Anzeichen einer Stabilisierung und holen nach einem sehr schwierigen Jahr 2015 wieder auf. Dies alles muss man vor dem Hintergrund der Aktienmarktbewertungen betrachten. Obwohl ich nicht denke, dass Bewertungen einen Katalysator liefern, können sie dennoch eine Basis für hohe Erträge liefern.

Also gibt es zumindest eine Annäherung?

US-Aktien haben kürzlich Rekordmargen erreicht; verglichen mit dem historischen Schnitt scheinen die Bewertungen gestreckt und die Multiplikatoren hoch zu sein, während Aktien in Schwellenländern zu einem sehr angemessenen Abschlag gehandelt werden. Es ist auf jeden Fall das Potenzial vorhanden, dass sich der Abschlag zwischen den Regionen deutlich verringert. Eine Rückkehr zu den Aufschlägen der Emerging-Markets-Aktien von vor 2008 werden wir aber nicht sehen – bis China die Notwendigkeit struktureller Reformen erkennt.

ZUR PERSON

Will Ballard leitet den Bereich Emerging Markets & Asia Pacific Equities bei Aviva Investors. Das ist die auf Asset-Management spezialisierte Einheit der weltweit tätigen Versicherungsgruppe Aviva, Aviva Investors verwaltet ein Anlagevermögen von 393 Milliarden Euro. [ Aviva ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2016)

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