Analyse: Die Schwellenländer kommen zurück

Ausgerechnet im Kirchner-Forum loteten jüngst 1000 Firmen aus 67 Ländern Investitionschancen im neuen Argentinien aus.
Ausgerechnet im Kirchner-Forum loteten jüngst 1000 Firmen aus 67 Ländern Investitionschancen im neuen Argentinien aus.(c) REUTERS (MARCOS BRINDICCI)
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Der Besuch des IWF macht deutlich: Argentinien ist kein Paria der Finanzwelt mehr. Auch Brasilien und Indien wollen durch Reformen Investoren anziehen – ein Wettlauf mit der Zeit.

Wien. Zehn Jahre dauerte der erbitterte Streit mit den Gläubigern des jüngsten Staatsbankrotts. Argentinien war von den Finanzmärkten ausgeschlossen. Kein IWF-Mitarbeiter reiste mehr zu einem jener Inspektionsbesuche an, zu denen sich alle 188 Mitgliedsländer des Währungsfonds vertraglich verpflichten – nur Venezuela und Somalia haben die Regel derart lang nicht erfüllt. Seit dieser Woche spricht wieder eine Delegation aus Washington mit Politikern, Ökonomen, NGOs und Gewerkschaften in Buenos Aires. Ein Besuch mit hohem Symbolwert: Argentinien ist wieder ein normales Land.

Mit viel Elan hat der liberale Präsident Mauricio Macri nach seinem Wahlsieg im vorigen Dezember die größten Scherben des zwölf Jahre dauernden populistischen Kirchner-Regimes aufgekehrt: Devisenkontrollen abgeschafft, Gläubiger befriedet, verlässliche Statistiken geliefert. Das schafft Vertrauen und soll private Investoren ins neue Argentinien ziehen.

Viele Zusagen, wenig Zufluss

Das Potenzial ist gewaltig: In Energie, Infrastruktur und Technologie summiert sich der Rückstau auf über 100 Mrd. Dollar. Bei Präsentationen zeigten sich Tausende Manager aus aller Welt euphorisch und sagten in Summe 33 Mrd. Dollar an Mitteln zu. Allein: Wirklich geflossen sind im ersten Halbjahr nur 1,3 Mrd. Für Macri ist das Buhlen um Geld ein Wettlauf mit der Zeit: Nur wenn die Wirtschaft anspringt und die Arbeitslosigkeit sinkt, kann er seine Minderheitsregierung bis zur Kongresswahl in einem Jahr gut über die Runden bringen. Immerhin: Die mit 40 Prozent enorm hohe Inflation ging im August erstmals seit Jahren zurück.

Argentinien steht nicht allein da. Einbrechende Rohstoffpreise haben viele Schwellenländer in die Krise geführt. Das zwingt sie nun zu Reformen, die im besten Fall zu einem solideren Geschäftsmodell führen. Immer hilft dabei mehr Kapital von außen. Der Zeitpunkt dafür ist gut: Die wieder anziehenden Rohstoffpreise verschaffen Luft. In den Industriestaaten türmt sich die brach liegende Liquidität. Wegen der extrem niedrigen Zinsen suchen Investoren intensiv nach Anlagemöglichkeiten – und sehnen sich nach „guten Storys“.

Liefern könnte sie auch Michel Temer in Brasilien. Zwar ist der Nachfolger der vom Senat aus dem Amt gejagten Dilma Rousseff bei den Brasilianern fast so unbeliebt wie seine Vorgängerin. Aber Ökonomen und Investoren wittern auch bei diesem neuen Präsidenten Morgenluft: Er will die aus dem Ruder gelaufenen Staatsausgaben durch Schuldenbremsen in der Verfassung und eine Pensionsreform in den Griff kriegen. Zugleich privatisiert er Flughäfen, Straßen, Wasserkraftwerke – insgesamt 25 Projekte, bei denen der Staat mindestens 20 Prozent abgibt. Auch in Brasilien sinkt die Inflation, was der Zentralbank Spielraum für Zinssenkungen gibt. Aber die schwere Rezession ist so wenig überwunden wie Korruption und Unmut in der Bevölkerung.

Indien entfesselt sein Potenzial

Ein drittes Beispiel für ungewohnte Reformdynamik in einem Schwellenland ist Indien. Zwar haben dem Nettoimporteur von Rohstoffen deren sinkende Preise eher genutzt. Doch anhaltend schwache Produktivität, ein extremer Föderalismus und lähmende Bürokratie bremsen das Potenzial der drittgrößten Volkswirtschaft Asiens. Premier Narendra Modi startete 2014 mit einer ehrgeizigen Agenda. Er öffnete Sektoren wie Eisenbahn und Verteidigung für Fremdinvestoren. Das ließ die Währungsreserven im Vorjahr, als die Finanzmärkte aus Schwellenländern flohen, um 47 Mrd. Dollar steigen. Als er freilich nach Massenstreiks vor einer Reform des stark regulierten Arbeitsmarktes zurückschreckte, trauten ihm manche Beobachter nicht mehr viel zu. Doch die jüngste Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer ist tatsächlich ein historischer Schritt: Erstmals wächst der Subkontinent der Schlagbäume und Regionalzölle zu einem Wirtschaftsraum zusammen. Und das Make-in-India-Programm animierte zu über 400 Mrd. Dollar an Investitionszusagen. Sollte es dazu kommen, flösse mehr Kapital ins Land als in den vergangenen 14 Jahren zusammen. Es wäre ein weiterer Puzzlestein für ein freundlicheres Gesamtbild: Die Schwellenländer kommen zurück auf die Bühne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2016)

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