„Der Euro ist das Problem, nicht die Lösung“

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Polens Wirtschaftsminister und Vizepremier, Mateusz Morawiecki, beteuert auf seinem Österreich-Besuch: Attacken gegen ausländische Investoren seien nur Wahlkampfrhetorik. Sein Land brauche aber ein neues Wachstumsmodell.

Die Presse: Sie behaupten, Polen brauchte ein neues Wachstumsmodell. Warum? Das bisherige ist doch extrem erfolgreich.

Mateusz Morawiecki: Ja und nein. Unser Wachstum basiert vor allem auf Konsum und immer mehr Krediten – diese wuchsen in den vergangenen zwölf Jahren doppelt so schnell wie die nominelle Wirtschaftsleistung. Die Finanzkrise hat gezeigt, wie gefährlich das sein kann. Wir wollen unser Wachstum auf die gleiche Basis stellen wie Österreich vor 20, 30 Jahren: Kapital ansparen, investieren und innovativ sein. Wir haben seit 27 Jahren ein Spardefizit und sind damit weltweit eines der Länder mit der höchsten privaten Pro-Kopf-Verschuldung. Die Investitionen sind geringer als im EU-Schnitt, und ohne sie fehlt es auch an Innovation. Wir nutzen unsere Talente nicht. Die Folge ist Emigration: Zweieinhalb Millionen Polen haben in den vergangenen zehn Jahren das Land verlassen. Die hatten nicht den Eindruck, dass ihre Heimat eine Erfolgsstory schreibt. Wenn sieben Prozent der Bevölkerung das Land verlassen, dann ist etwas faul im Staate Polen.

Sie haben die polnischen Migranten in Großbritannien zur Heimkehr aufgerufen. Fürchten Sie nicht viele Arbeitslose, wenn eine Welle von Rückkehrern den Arbeitsmarkt überschwemmt?

Da mache ich mir keine Sorgen, im Gegenteil. Wir haben eine sehr gute Lage auf dem Arbeitsmarkt erreicht, die Arbeitslosigkeit sinkt. Für die nächsten fünf Jahre fehlen uns bis zu einer Million Arbeitskräfte wegen des demografischen Wandels, der ähnlich verläuft wie in Österreich. Wir können den Rückstrom also absorbieren.

Sie kritisieren die „dominante Rolle“ ausländischen Kapitals. Fremde Firmen ziehen angeblich zu viele Gewinne ab. In ihrer PiS-Partei heißt es sogar, dass ausländische Unternehmen die Polen mit überzogenen Preisen „ausbeuten“. Das klingt feindselig. Wollen Sie denn die Investoren aus dem Ausland loswerden?

Überhaupt nicht. Einige dieser Aussagen kommen aus der Hitze des Gefechts im Wahlkampf. Bitte verwechseln Sie nicht die Rhetorik mit unseren wahren Absichten. Wir laden ausländisches Kapital ein, dabei sind wir weiterhin sehr erfolgreich. Erst jüngst haben wir Intel, GE, Mercedes, Toyota und VW dafür gewinnen können, ihre neuen Werke in Polen zu bauen. Ein großes Potenzial sind auch Back-Office-Funktionen von Finanzfirmen, die nach dem Brexit aus London wegziehen. Was aber stimmt: Auslandskapital soll nicht bevorzugt sein, etwa durch konzerninterne Verrechnungspreise.

Dem freien Markt und dem Liberalismus haben Sie auch Adieu gesagt. Das hat zu Stirnrunzeln in der Finanzwelt geführt. Was meinen Sie denn damit konkret?

Die Basis bleiben freier Handel, Wettbewerb und Gleichbehandlung. Aber wir müssen uns neuen Problemen stellen: der wachsenden Ungleichheit, der Wirkung der Austeritätspolitik und spekulativem Kapital, das für Turbulenzen sorgt. Darauf weisen auch IWF, Weltbank und die Ratingagenturen hin. Wir lesen das alles sehr aufmerksam.

Dann muss Ihnen auch zu denken geben, wenn Ratingagenturen Polen zurückstufen...

In jüngster Zeit gab es kein Downgrading. Moody's hat unser Rating unverändert belassen. Standard & Poor's müssen wir unsere Wirtschaftspolitik in den nächsten Monaten besser erklären.

Raiffeisen International will seine Tochter Polbank verkaufen und klagt über das neue politische Umfeld. Sie waren früher selbst Bankmanager bei der polnischen Tochter von Santander. Verstehen Sie die Sorgen Ihrer früheren Kollegen?

Raiffeisen hat es schon seit zwei Jahren eilig, einen Käufer für die Polbank zu finden – lang vor dem Machtwechsel. Sie hat viele Franken-Kredite in ihren Büchern, was nach dem Frankenschock Anfang 2015 Probleme machte. Meine Bank war strikt gegen Devisenkredite und hat sie auch nicht angeboten.

Was wird nun aus der geplanten Zwangskonvertierung?

Der Präsident hat seinen ursprünglichen Gesetzesvorschlag geändert. Der jetzige Entwurf sieht keine Zwangskonvertierung vor. Er will Banken und ihre Kunden zu einem freiwilligen Deal anspornen, um die Belastungen der Kreditnehmer zu lindern. Dafür haben sie zehn Monate Zeit.

Ist ein Eurobeitritt mittelfristig denkbar oder ausgeschlossen?

Polen ist dem Niveau der Eurozone nicht nahe genug. Wie schädlich in einem solchen Fall eine Teilnahme sein kann, zeigt sich an den Euro-Südländern: Sie brauchten eine Abwertung, aber sie haben keine Macht über ihre Währung, weil alles in Frankfurt entschieden wird. Aus dieser Falle kommen sie nicht auf sanfte Weise heraus. Wir werden uns also sicher nicht beeilen, sondern abwarten und zuschauen, wie es mit der Eurozone weitergeht. Aus den USA heißt es immer öfter: Der Euro ist das Problem, nicht die Lösung, weil eine einheitliche Geldpolitik für so unterschiedliche Länder riesige Spannungen schafft. Und ich finde, das stimmt.

ZUR PERSON

Mateusz Morawiecki (48) ist der polnische Wirtschaftsminister und Vizepremier. Der Sohn eines Solidarność-Kämpfers war als Schüler und Student (Geschichte, BWL, Jus) selbst in der Untergrundorganisation aktiv. Nach der Wende arbeite er als Manager, zuletzt als Chef der Bank Zachodni WBK. Seit November 2015 ist er Wirtschaftsminister im Kabinett Szydło. Im März trat er der umstrittenen nationalkonservativen PiS-Partei (Recht und Gerechtigkeit) bei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2016)

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